Korschenbroich Der Kaktus als Gegenentwurf zur heute hektischen Zeit

Korschenbroich · Vielleicht hat Carl Spitzweg sein Scherflein dazu beigetragen, dass der Kaktus das Ansehen von biedermeierlicher Spießigkeit bekam. Denn der Maler zeigte den Kakteenfreund mit gutmütigem Spott als kauzigen Sonderling. Im Treibhaus der Gärtnerei Fragen aber lobte Rita Mielke, Initiatorin der Lesereihe "Korschenbroich liest", die Pflanze als "grandioses Beispiel dafür, zu welchen Wundern die Natur in der Lage ist". Optisch unterstützt durch das von Kaja Fragen stilecht arrangierte Kakteen-Ambiente unternahm sie beim literarisch-botanischen Nachmittag im Rahmen von "Korschenbroich liest" eine Ehrenrettung für Kakteen.

Zur Begrüßung ertönte das vertraute Lied vom kleinen grünen Kaktus des Vokalensembles Comedian Harmonists. Noch in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatte die Pflanze eine Euphorie geweckt, die durch den Zweiten Weltkrieg gebremst und danach nie mehr erreicht wurde. Mielke stellte Kakteen als Gegenentwurf zur heute hektischen Zeit vor. Denn die meisten Kakteen wachsen langsam, sehr langsam. Sie erzählte von Seefahrern, die die ersten Kakteen in die alte Welt brachten, und von Fürstenhöfen mit der Vorliebe für Exotisches. Joseph Freiherr zu Salm-Reifferscheidt wurde als wissenschaftlich interessierter Sukkulentenliebhaber des 19. Jahrhunderts vorgestellt. Der Fürst machte Schloss Dyck zum Treffpunkt leidenschaftlicher Sammler.

Die "Königin der Nacht", ein unscheinbares Exemplar der Gattung bis zu der Nacht, in der sich die Blüten zur vollen Pracht entfalten, und der mexikanische Kugelkaktus als Durstlöscher für Mensch und Tier standen beispielhaft für die vielfältigen Seiten der Kakteen. Als Kostprobe gab es Grünen Tee mit einem Schuss Kaktus-Feigengeschmack.

Literarisch hatte Mielke Satirisches, Witziges, Poetisches und Skurriles zusammengetragen, wie etwa die Geschichte des Tschechen Karl Capek, der sich offenbar mit den Kakteenarten gut auskannte. Mielke erzählte auch von der wunderbaren Gemeinschaft zwischen einem winzigen Kolibri und einem riesigen Kaktus. Hans Harbeck hat beiden ein Gedicht gewidmet, in dem der Kaktus zum Sinnbild der Prosa wird und der Kolibri für die Poesie steht. Als Andenken verschenkte Katja Fragen Kakteen für die häusliche Fensterbank.

(NGZ)
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