Korschenbroich Die stille Revolution der Kinder von Tschernobyl

Korschenbroich · Nationale Egoismen haben wieder Konjunktur, scheinbar erreichte Ziele auf dem Weg in ein vereintes Europa wirken brüchig. In entschiedener Offensive warb der Festakt zum Tag der Deutschen Einheit für eine Aussöhnung über nationale Grenzen hinweg. Bürgermeister Marc Venten freute sich über einen Spitzenwert bei der Besucherzahl im Rathaus. Das Gitarrentrio mit Ottmar Nagel sowie den Bundespreisträgern Tobias Löns und Julian Glaw gestaltete einfühlsam den musikalischen Part.

 Festakt: Bürgermeister Marc Venten mit Referentin Irina Gruschewaja (l.) und Dorothea Hoelper.

Festakt: Bürgermeister Marc Venten mit Referentin Irina Gruschewaja (l.) und Dorothea Hoelper.

Foto: J. Knappe

"Hoffnung Europa. Das Glück der Einheit" hatte die Festrednerin ihren beeindruckenden Vortrag überschrieben. Irina Gruschewaja lehrte zuletzt als Professorin für Russisch in Berlin und ist Gründungsmitglied der Initiative "Den Kindern von Tschernobyl", mit der sie tausenden Kindern aus den verstrahlten Gebieten Erholungsreisen ins Ausland ermöglichte. Sie gab Einblick in die Lebenswelt jenseits des "Eisernen Vorhangs", in das sowjetische System, das sie im Nachhinein als System der Unterdrückung empfindet. Das Unglück von Tschernobyl habe die Menschen nüchtern gemacht, habe sie aufgeweckt. Sie hätten erfahren, wie Menschen dem schleichenden Tod ausgeliefert wurden. "Das war die wichtigste Zeit in meinem Leben. Zuvor war ich eine gläubige Sowjetbürgerin gewesen", bekannte Gruschewaja. Nach dem Unglück habe man Hilfe bekommen aus dem sogenannten "bösen, kapitalistischen Ausland". "Was war das für eine Revolution. Europa ist für mich zur Heimat der Tschernobyl-Kinder geworden", sagte sie. Die Referentin sparte nicht die leidvolle gemeinsame Geschichte im Zweiten Weltkrieg aus, sie erinnerte an Gorbatschows Vision eines gemeinsamen Hauses von Europa und verwies auf Kräfte, die gegen diese Vorstellung kämpfen. "Die Welt lebt ein schweres Leben", sagte sie mit Blick auf Kriege und flüchtende Menschen. Sie warb eindringlich für Geduld bei der Lösung von Konflikten und mahnte "die Bürger von Europa", sich der Verantwortung für ein friedliches Miteinander zu stellen.

Dorothea Hoelper macht dies seit Jahren im besonderen Maße, zunächst als Lehrerin und stellvertretende Leiterin des Gymnasiums Korschenbroich, seit der Pensionierung als Vorsitzende des Vereins "Forum für internationalen Austausch". Für den Einsatz verlieh ihr Venten die Verdienstmedaille der Stadt in Gold. Hoelper erklärte, wie die kindliche Prägung durch den in Berlin erlebten Weltkrieg zur wesentlichen Motivation für die Organisation von Schüleraustauschprogrammen wurde. Tatjana Senatorovka, die von russischer Seite seit 1991 den Austausch mit Troizk begleitet, bescheinigte ihr als "Mensch mit großem Herzen" zu handeln.

(NGZ)
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