Korschenbroich Kurz vor dem Ziel geschnappt

Korschenbroich · Es war heiß, sie hatte Angst und wusste nicht, was ihrem Mann widerfahren war – so schildert Anke Jauch den Tag, an dem sie aus der DDR fliehen wollte und gefasst wurde. Morgen liest sie aus ihrem Buch „Die Stasi packt zu“.

Nebeneinander sitzen Anke und Matthias Jauch auf der hellen Ledercouch in ihrem Wohnzimmer in Kleinenbroich und blättern in einem dicken roten Ordner. Es sind Kopien ihrer Stasi-Akten. „So sah ich damals aus, als ich ins Gefängnis nach Hoheneck kam“, sagt Anke Jauch und zeigt auf ein schwarz-weißes Passbild aus dem Jahr 1980. Eine schmalgesichtige junge Frau ist darauf zu sehen, mit leicht struppigen schulterlangen dunklen Haaren. Der Blick wirkt leer, kein Lächeln umspielt ihre Lippen. Das Bild einer Gescheiterten.

Vergeblich hatten Anke Jauch, heute 49 Jahre alt, und ihr Mann Matthias (52) 1980 versucht, aus der DDR zu fliehen. Über Bulgarien und Jugoslawien wollten die Kosmetikerin und der gelernte Mess- und Regeltechniker, „rüber machen“, von Österreich sollte es weiter gehen nach West-Deutschland. Doch bereits an der bulgarischen Grenze wurden sie gefasst.

Erst eine Woche Campingurlaub

Die Geschichte ihres Fluchtversuches hat Anke Jauch 2006 in dem Buch „Die Stasi packt zu“ niedergeschrieben. Am Tag der deutschen Einheit wird die gebürtige Leipzigerin in der Alten Schule in Korschenbroich daraus vorlesen.

„Wir hatten 1979 geheiratet und wollten Kinder. Aber dass unsere Kinder in diesem System groß werden, wollten wir nicht“, sagt Matthias Jauch. „Wir konnten uns dort weder beruflich noch privat entfalten“, ergänzt seine Frau. Also beschloss das Paar, abzuhauen. Die beiden flogen nach Bulgarien und machten erst eine Woche Campingurlaub am Schwarzen Meer. Sie überlegten hin und her, ob sie den Schritt wagen sollen – am 14. Juli gingen sie los. „In der Nähe eines Campingplatzes in Sofia wollten wir über die Grenze“, erinnert sich Matthias Jauch. „Es war heiß“, unterbricht Anke Jauch, plötzlich seien da vier bis fünf Uniformierte gewesen, „mit Kalaschnikows“, und riefen: „Passport, please“. Weil sie keine Pässe dabei hatten, wurden sie mitgenommen und getrennt voneinander in Zellen gesperrt.

„Ich wusste nicht, wie es meinem Mann geht, ob er vielleicht erschossen wurde“, sagt Anke Jauch und setzt hinzu: „Wenn ich an den Tag zurück denke, berührt mich das immer noch sehr.“ Drei Tage blieb sie in Haft, ihr Mann wurde knapp drei Wochen später nach Ost-Berlin geflogen. In der kurzen Zeit hatte er zehn Kilogramm abgenommen. Vier Monate blieben sie in Leipzig in Untersuchungshaft, quälten sich durch Nachtverhöre. Dann musste Matthias Jauch für 13 Monate ins Zuchthaus Cottbus, Anke Jauch kam nach Hoheneck.

Am 2. Juli 1981 wurden sie im Zuge der Häftlingsfreikäufe in die BRD gebracht. „Wir konnten es gar nicht glauben“, sagt Anke Jauch, schüttelt den Kopf und greift lächelnd nach ihrer Kaffeetasse.

(RP)
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