Krefeld 500 Jahre Ingenieurskunst versammelt: "Ingenieuren fehlt heute die Lobby"

Krefeld · 45 Jahre nach ihrem Studium haben sich elf Ingenieure im Nordbahnhof wiedergetroffen. Sie blicken auf ihre Studienzeit zurück, wagen aber auch einen Ausblick auf eine Branche, um deren Mitarbeiter Deutschland international beneidet wird.

 Ein seltenes Treffen: Elf Ingenieure treffen sich 45 Jahre nach ihrem Studienabschluss an der Krefelder "Staatlichen Ingenieurschule für Maschinenwesen". Wir sprachen mit ihnen über Veränderungen in ihrem Beruf, über Quantensprünge in der Technik und die Entwicklung ihres Fachs.

Ein seltenes Treffen: Elf Ingenieure treffen sich 45 Jahre nach ihrem Studienabschluss an der Krefelder "Staatlichen Ingenieurschule für Maschinenwesen". Wir sprachen mit ihnen über Veränderungen in ihrem Beruf, über Quantensprünge in der Technik und die Entwicklung ihres Fachs.

Foto: Lothar Strücken.

Natürlich wird gefrotzelt, es werden auch mal Herrenwitze ausgetauscht, und es wird viel gelacht. Elf Männer sind zusammengekommen, die vor fast einem halben Jahrhundert gemeinsam die Ernennungsurkunde zum graduierten Ingenieur, dem späteren Diplom-Ingenieur, entgegengenommen haben. Die meisten von ihnen haben das 70. Lebensjahr bereits überschritten oder touchieren es. Fast 500 Jahre Ingenieurskunst kommen so zusammen, in denen die Männer als Verfahrenstechniker gearbeitet und zum technischen Know-how der Jetztzeit beigetragen haben.

Den Anfang dieser Geschichte bildet die Staatliche Ingenieurschule für Maschinenwesen (SIS), die später in die heutige Hochschule Niederrhein übergegangen ist. Dort konnten die Männer nach vorheriger dreijähriger Ausbildung ihr sechs Semester dauerndes Studium der Verfahrenstechnik aufnehmen. Ein Werdegang, der laut den Absolventen auf dem Arbeitsmarkt besser ankam als die klassische Laufbahn über Abitur und Universitätsabschluss: "Die Unternehmen haben es geschätzt, dass wir neben dem Studium schon praktische Erfahrung mitbringen konnten. An der SIS stand eine Box, in die wir Karteikarten mit unserem Namen und einem Preis einsetzen konnten. Fast jeder hatte nach dem Abschluss eine Stelle sicher", erinnert sich der heute 71-jährige Dieter Krapohl. Der Studiengang sei zwar sehr verschult gewesen. Durch die Anwesenheitspflicht und eine gute Kameradschaft habe das aber eher genützt als geschadet. Die seinerzeit angehenden Ingenieure, die später einmal aufwendige Verfahren entwickeln würden, um aus einem Rohstoff durch chemisch-physikalische oder biologische Prozesse ein Endprodukt zu entwickeln, mussten während ihres praxisorientierten Studiums noch weitgehend auf technische Hilfsmittel verzichten. "Es gab nur einen Röhrencomputer, der sechs Meter breit und 28 Meter lang war. Damit haben wir nur besonders aufwendige Modelle skizziert. Unser Arbeitsgerät war der Rechenschieber", weiß Krapohl, der sein Exemplar bis heute aufbewahrt hat.

Sein früherer Kommilitone Werner Tysl ist vom Rechenschieber auf ein Smartphone umgestiegen, das er jetzt immer bei sich trägt. "Wir konnten uns damals nicht ausmalen, dass solch ein Gerät einmal erfunden würde. Vor allem in der IT hat es seit unserer Studienzeit Quantensprünge gegeben", so Tysl. Die Technologiethemen der Zukunft sieht der 70-Jährige rund um die Themen Energiegewinnung und Wasseraufbereitung angesiedelt: "Wenn die fossilen Brennstoffe versiegt sind, müssen wir vorbereitet sein. Außerdem müssen wir auch Ländern mit starkem Bevölkerungswachstum eine dauerhafte Wasserversorgung gewährleisten. Da kommen noch genügend Aufgaben auf die heutigen und künftigen Ingenieure zu", findet der Verfahrenstechniker.

Sorge bereitet dem 70-Jährigen die verlorengegangene Deutungshoheit, die er für seine Zunft zu erkennen glaubt. "Heute sind es die Betriebswirte und Juristen, die darüber entscheiden, in welchem Rahmen ein Projekt umgesetzt wird. Das bedeutet dann meistens, dass die günstigste Kalkulation den Zuschlag erhält. Aber dabei werden die Folgekosten völlig vernachlässigt", erklärt Werner Tysl. Im Kleinen sehe man das an der Krefelder Niepkuhlenbrücke, die nur 14 Jahre nach ihrer Fertigstellung sanierungsbedürftig war. Auch Dauerbaustellen wie den Berliner Großflughafen sieht Tysl als trauriges Ergebnis der veränderten Entscheidungsprozesse. Früher habe bei einer Ausschreibung das Prinzip gegolten, das teuerste und günstigste Angebot sei zuerst von der Liste gestrichen und aus den übrigen Vorschlägen der wirtschaftlichste ausgewählt worden - wobei das dann meist nicht das billigste, sondern nachhaltigste Angebot gewesen sei.

"Die jungen Ingenieure müssen wieder eine andere Stellung einnehmen. Sie sollten für einen guten Entwurf kämpfen, und sich nicht für die Preistreiberei verbiegen", findet Tysl. Er hofft, dass sich seine Nachfolger wieder eine Lobby erarbeiten - damit Ingenieure aus Deutschland weiterhin eine weltweite Marke bleiben.

(RP)
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