Krefeld Am Ende herrschte langes Schweigen

Krefeld · Eva Weyl, Überlebende des Holocaust, besuchte gestern Montessori-Schüler und schilderte, wie sie im niederländischen KZ Westerbork lebte und dem Transport ins Vernichtungslager Auschwitz mehrfach entronnen ist.

 Nach drei Jahren Gefangenschaft im KZ wurden Eva Weyl und ihre Familie am 12. April 1945 von Kanadiern befreit. Gestern berichtete sie vor Schülern der Montessori-Schule aus ihrem Leben.

Nach drei Jahren Gefangenschaft im KZ wurden Eva Weyl und ihre Familie am 12. April 1945 von Kanadiern befreit. Gestern berichtete sie vor Schülern der Montessori-Schule aus ihrem Leben.

Foto: T.L.

Am Ringfinger der rechten Hand trägt Eva Weyl einen dezenten Diamantring. Für sie ist es weitaus mehr als ein Schmuckstück. Das erklärte die 81-Jährige gestern den den 9. bis 11. Klassen der Maria-Montessori-Gesamtschule. Die gebürtige Niederländerin war gekommen, um über die schlimmste Zeit ihres Lebens zu sprechen. Mit ihren Eltern lebte sie als Kind insgesamt drei Jahre im KZ Westerbork. Das KZ war auch für die Familie von Anne Frank Zwischenstation, bevor sie 1944 nach Auschwitz deportiert wurde.

Weyl wurde 1935 in den Niederlanden geboren als Tochter zweier deutscher Emigranten, die kurz nach Hitlers Machtergreifung aus Kleve geflohen waren. Der Vater, aus einer deutschen Textilfamilie stammend, ließ 1934 neben seinem Kaufhaus in der Klever Innenstadt (heute Galeria Kaufhof) auch seine Eltern und Geschwister in Deutschland zurück. In Arnheim lebte die Familie zunächst gut, konnte sich sogar ein deutsches Dienstmädchen leisten. Eva Weyl, die als Muttersprache Deutsch lernte, erinnert sich noch gerne an jene Zeit. Sie sei sehr behütet worden von ihren Eltern - auch noch während der Zeit im KZ Westerbork. "Sie haben alle politischen Ereignisse von mir ferngehalten", erzählt sie.

1941 wurde die Familie nach Westerbork im Norden der Niederlande gebracht. Eva war damals sechs Jahre alt. Lediglich die Kleidung, die sie am Leib trugen, sowie kleine Habseligkeiten durften mit ins Lager genommen werden. Dennoch konnte der Familienschmuck der Weyls erhalten bleiben. Die Mutter hatte die Diamanten in die Knöpfe der Kinderkleidung eingenäht und sie so vor den Nazis verborgen. Erst vor 20 Jahren habe sie selbst von dieser geschickten Tat ihrer Mutter erfahren. Einen dieser Diamanten trägt sie heute täglich an ihrem Finger. Nach ihrem Tod soll der Ring nicht in den Besitz einer ihrer Enkelinnen übergehen, sondern dem Museum der Gedenkstätte Westerbork gestiftet werden - als Zeitzeugnis mit berührender Geschichte. In Westerbork lebte die Familie Weyl zunächst in einer großen Sammelunterkunft mit dreistöckigen Betten. Dann wurde der Vater vom Bauern zum Administrator im Lager befördert, und die Familie durfte in ein kleines, privateres Häuschen ziehen. Das KZ Westerbork sei in dieser Hinsicht ein "Ausnahmelager" gewesen, sagt die 81-Jährige. Das Leben der meisten Gefangenen dort glich eher dem Leben eines Dorfbewohners. Zwar mussten die 20.000 Gefangenen auch hier hart arbeiten und wurden auf vielfältige Weise erniedrigt. Doch Weyl berichtet, dass den Kindern der Besuch der lagereigenen Schule gewährt wurde. Für die Arbeiter gab es ein Krankenhaus, in dem sie gepflegt wurden. "Alles nur Schein" urteilt die Zeitzeugin. Sie sagt: Die Gefangenen sollten ruhig gehalten werden und glauben, im Osten warte lediglich mehr Arbeit, anstatt der grausame Tod auf sie.

Dreimal hätten Eva Weyl und ihre Eltern in den Zug nach Auschwitz steigen sollen. Jedes Mal bewahrte sie ein glücklicher Zufall im letzten Moment vor diesem Schicksal. Am 12. April 1945 zählte die Familie zu den von den Kanadiern aus Westerbork Befreiten.

Noch heute ist dieses Datum für Eva Weyl und befreundete überlebende Familien aus dem KZ ein Gedenktag, der jedes Jahr groß gefeiert wird. Alle engeren Familienmitglieder, darunter auch die Großväter in Theresienstadt, überlebten den Holocaust. Die grausamen Erfahrungen, die Eva Weyl während der Zeit im KZ machen musste, möchte sie heute jungen Menschen mitteilen. Ihr ist es wichtig, dass junge Menschen über die NS-Verbrechen aufgeklärt werden und die Zukunft aktiv und bewusst mitgestalten, damit die Geschehnisse des Zweiten Weltkrieges sich nicht wiederholen.

Die Schüler folgten ihren Erzählungen sehr ergriffen. Am Ende gab es ein langes Schweigen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort