Krefeld Arndt-Gymnasium: Reise in die 60er

Krefeld · Das Arndt-Gymnasium besteht nunmehr seit 165 Jahren. Wie sehr Lehrer und Lehrmethoden sich geändert haben, erfuhr eine Ehemaligen-Klasse, die ihr Abitur vor genau 50 Jahren machte - im Oktober 1966.

 Das Lehrerkollegium des Arndt-Gymnasiums Mitte der 60er Jahre. Die im Text genannten Pädagogen sind in der 2. Reihe von unten 1. und 2. von rechts: Dr. Bujnoch und "Franz-Josef" Gürtler; in der obersten Reihe ganz rechts Michael Küsters und in der sitzenden Reihe, 4. von links Dr. Hans Beck.

Das Lehrerkollegium des Arndt-Gymnasiums Mitte der 60er Jahre. Die im Text genannten Pädagogen sind in der 2. Reihe von unten 1. und 2. von rechts: Dr. Bujnoch und "Franz-Josef" Gürtler; in der obersten Reihe ganz rechts Michael Küsters und in der sitzenden Reihe, 4. von links Dr. Hans Beck.

Foto: Hans Kaiser

Dazumal, ach, dazumal... Da standen im humanistischen Gymnasium die Studienräte im grauen Zwirn vor der Klasse und dozierten über Cosinus oder Tacitus; aber meist predigten sie "surdis auribus" - tauben Ohren. Lehrer waren Einzelkämpfer, und das Kultusministerium stresste sie mit vollgestopften Lehrplänen. Moderne Unterrichtsformen wie Gruppenarbeit oder entdeckendes Lernen waren Terra incognita. Und die Schüler? Welch freudige Überraschung, wenn sie etwas verstanden, was sie bis dahin nur auswendig gelernt hatten.

Tempi passati - die Zeiten haben sich geändert. Wie sehr, erfuhr jetzt eine Ruheständler-Klasse, zwischen 68 und 70 Jahre alt, die sich zum 165. Geburtstag des Arndt-Gymnasiums in ihrer alten Schule traf - und dabei tief im Sack der Erinnerungen kramte. An Lehrer-Originale, die kraft ihrer Persönlichkeit im Gedächtnis geblieben waren. Und jeder hatte seinen Spitznamen.

Wie der kauzige Lateinlehrer "Franz-Josef" Gürtler, eine Seele von Mensch und vor dem Krieg Regisseur am Stadttheater in Posen. Aber er hielt auf Autorität; die Pfeife noch im Mund, schritt er zum Unterrichtsbeginn die Reihen der salutierenden Sextaner ab. Seinen Grammatik-Unterricht garnierte er gerne mit launigen, rasch gedichteten Versen, etwa, um die verschiedenen Bedeutungen des Wörtchens "cum" ("als; immer, wenn; dadurch, dass; weil; obwohl") aufzuzeigen. Hatte eine Schülerantwort ihn besonders erfreut, rief er bühnenreif "Potziblitzi!" aus.

Auch sein Nachfolger Dr. Bujnoch konnte keiner Fliege etwas zuleide tun. Latein war seine zweite Muttersprache, in der er grundsätzlich mit der Schulleitung korrespondierte. Fehler taten ihm körperlich weh und ließen ihn das Gesicht verzerren. "Sulla", wie die Pennäler ihn respektvoll nannten, stammte aus Mährisch-Ostrau, und das hörte man ihm an. Wenn er sich denn zu einer Ohrfeige genötigt sah, weil ein Flegel sich gar zu sehr danebenbenahm, kündigte er zunächst an: "Der Bube muss gebeutelt werden!". Dann nestelte er sich sorgfältig die Armbanduhr ab, nahm einen Probe-Klatscher auf die vorgesehene Wangen-Stelle und klapste kurz zu.

Das war durchaus rechtens, denn bis 1969 war körperliche Züchtigung als letztes Mittel erlaubt, und zwar "nach gewissenhafter Überlegung in maßvoller Weise". Andererseits: Meldete sich jemand aus dem Lateinunterricht zur Toilette, unterließ Sulla es nie, dem Enteilenden ein väterliches "Pass auf auf der Stiegen!" hinterherzurufen. Keiner seiner Schüler ahnte, dass der versierte Latein- und Geschichtsphilologe wöchentlich einen Studientag in der Uni Köln verbrachte und in Fachzeitschriften gut rezensierte Beiträge veröffentlichte.

Da gab es den Klassenlehrer Michael Küsters ("Eule"), der die Meute aus 38 pubertierenden Gymna-seweisen mit rollendem Augen-Blick souverän bändigte und, wenn's denn hart auf hart kam, einem Raufbold einen persönlichen Boxkampf anbot. Küsters war bekannt für die unnachahmliche Weise, das W wie im Englischen mit beiden Lippen explodieren zu lassen. Wenn er einen Alliterations-Satz formulierte wie: "Wieso wollte Willy Weyer wieder gewählt werden?", konnte er sich der Wirkung sicher sein.

Sein Nachfolger Dr. Hans Beck, Stellvertretender Schulleiter und Klassenlehrer in der Oberstufe, war von olympischer Ruhe und Heiterkeit. Aus seinem Französisch-Unterricht machte er gerne ein philosophisches Seminar. Mit Interessierten diskutierte er Stunden lang über existenzielle Weltfragen. Durch die Erfahrungen des Dritten Reiches skeptisch geworden, betrachtete er die Geschichte als eine Unfallchronik der Menschheit und vertrat die Lehre, dass der Homo humanus eher nichts gelernt hätte.

Vorbei, vorbei. Die moderne Pädagogik nimmt statt des Lehrers die Schüler in den Focus. Im Zentrum humanistischer Bildung stehen nicht mehr der Griechisch- und Lateinunterricht, um die antiken Ideale von der Freiheit und Wertschätzung der Persönlichkeit zu vermitteln. Problemorientiertes Lernen ist an ihre Stelle getreten. Das Arndt-Gymnasium ist ein gutes Beispiel dafür, dass der Begriff "humanistisch" einen Bedeutungswandel erfahren hat. Statt Latein ist mittlerweile Englisch die Eingangssprache, Griechisch lernt man am Arndt schon länger nicht mehr.

Individuelle Förderung ist heute das besondere Merkmal der Krefelder Traditionsschule. "Erfahre, erkenne, erlebe!" ist ihr zum pädagogischen Credo geworden. In der Klasse 5 wird ein zweistündiger Kurs "Soziales Lernen" angeboten, erarbeitet mit dem Schulpsychologischen Dienst. Gemeinsames Lernen ist wichtig: Kinder mit Förderbedarf werden in den Klassen 5 bis 9 durch eine Sonderschullehrerin betreut. Weitere Schwerpunkte in der Eingangsphase sind die Lese- und Schreibförderung und besondere Unterrichtsaktionen in einem Selbstlernzentrum. Seit vielen Jahren bietet das Arndt ab der 8. Klasse die Möglichkeit, Chinesisch zu lernen, auch durch den Austausch mit einer Partnerschule in Hangzhou. Die Oberstufenschüler werden mit dem Projekt "Arndt - Dein Weg ins Leben" auf Studium und Beruf vorbereitet.

"Wir blicken als Innenstadtschule ganz zuversichtlich in die Zukunft", bilanziert Harald Rosendahl, Schulleiter des Arndt-Gymnasiums seit 2007, die erfolgreiche Arbeit seiner 45 Kollegen und ihrer knapp 500 Schüler.

(RP)
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