Krefeld Bester Freund gesteht Mordversuch

Krefeld · Der 18-jährige Angeklagte aus Traar gesteht am ersten Prozesstag eine heimtückische Messerattacke auf seinen besten Freund im Juni dieses Jahres. Das Motiv für die Tat blieb während der Befragung weitgehend unklar. Er fühlte sich gedemütigt und unterdrückt, konnte aber keine eindrücklichen Beispiele dafür nennen.

 Der Angeklagte (links im hellen Pullover hinter seinem Strafverteidiger) muss sich seit gestern vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Krefeld unter der Vorsitzenden Richterin Ellen Roidl-Hock wegen versuchten Mordes verantworten.

Der Angeklagte (links im hellen Pullover hinter seinem Strafverteidiger) muss sich seit gestern vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Krefeld unter der Vorsitzenden Richterin Ellen Roidl-Hock wegen versuchten Mordes verantworten.

Foto: Samla

Prozessbeteiligte, Angehörige und Besucher staunten gestern, als sie die Erklärungsversuche des wegen versuchten Mordes angeklagten Traarers hörten. Akribisch hatte er einen Mordplan geschmiedet, ihn zu Papier gebracht, und am Abend des 19. Juni dieses Jahres versucht, in die Tat umzusetzen. Dazu bewaffnete er sich mit Pfefferspray und Butterflymesser, maskierte sich mit Tuch und Taucherbrille, trug Einweghandschuhe sowie eventuell noch einen Unterleibsschutz. Dann versteckte er sich hinter einem Gebüsch, um dem arglosen Freund aufzulauern und ihn sofort zu attackieren. "Es ist so passiert, wie es im Haftbefehl steht", räumte der Angeklagte gleich zu Prozessbeginn ein.

 Justizvollzugsbeamte begleiten den Angeklagten aus der JVA Heinsberg zur Verhandlung ins Landgericht Krefeld.

Justizvollzugsbeamte begleiten den Angeklagten aus der JVA Heinsberg zur Verhandlung ins Landgericht Krefeld.

Foto: samla.de

Die Frage nach dem Warum beschäftigt seit der Festnahme Opfer, Angehörige, Staatsanwaltschaft, Gutachter, Jugendgerichtshilfe und Verteidiger gleichermaßen. Der Angeklagte schilderte, dass er sich stets untergeordnet habe, weil er konfliktscheu sei. Insbesondere habe es ihn gestört, dass sein Freund ihn bei einer Lüge entdeckt und durch stetes Nachfragen auch nicht locker gelassen habe. Der junge Traarer hatte nämlich behauptet, dass er zu seinem 18. Geburtstag den Führerschein bekommen habe. Tatsächlich hatte er jedoch lediglich die theoretische Prüfung erfolgreich absolviert.

Auf die Fragen und Vorhaltungen des Staatsanwalts Thomas Pelka, dass doch sicher andere Lösungen existiert hätten, statt seinen Freund töten zu wollen, gab der Angeklagte keine Antwort. Der von Täter und Opfer geschilderte Tatablauf unterstrich, mit welcher Vehemenz der 18-Jährige mehrfach nachsetzte, um den ein Jahr jüngeren Krefelder zu töten. So habe er zum Beispiel genau in dem Moment mit dem Messer zugestochen, als er vorgab, mit dem Telefon Hilfe herbeirufen zu wollen. Das Handy gehörte dem Opfer und die Pin dafür war das Geburtsdatum des Täters. Immer wieder habe der Angeklagte an dem Abend des Überfalls nachgesetzt und versucht, auf seinen bereits stark blutenden Freund einzustechen. Einer der Stiche ging bis in die Lunge. Der 17-Jährige verlor viel Blut. Es bestand Lebensgefahr. Gleichwohl heilten die physischen Verletzungen im Krankenhaus schnell und ohne Komplikationen ab. Psychisch leidet der junge Mann aber trotz psychiatrischer Hilfe noch immer. Bis heute quälen ihn Albträume. "Ich habe stets die Bilder vor Augen", sagte er. Das mit den Panikattacken habe sich dank therapeutischer Hilfe recht schnell gelegt. Ungeachtet dessen seien Spätfolgen nicht auszuschließen.

Täter und Opfer kennen sich seit vielen Jahren. Sie teilten ihr Hobby Breakdance, sammelten nationale und internationale Titel und waren fast täglich zusammen. Die tänzerische Überlegenheit des Opfers sei für ihn kein Problem gewesen, davon hätten alle in der Gruppe profitiert, sagte der Angeklagte. Außerhalb der Tanzfläche schien ihn diese Führungsrolle jedoch zu stören.

Nachdem sein Freund eine neue Freundin kennengelernt hatte, soll sich der Angeklagte mehr und mehr mit Begründungen wie er sei krank oder ähnlichen Angaben zurückgezogen haben. Rund zwei Wochen vor den Messerattacken habe er seinen Plan dazu geschmiedet, gestand der Angeklagte. Zwei bis drei Tage vor dem 19. Juni sei die Entscheidung dann für ihn gefallen, ihn in die Tat umzusetzen. Per Whatsapp hat der Traarer angefragt, ob sein Freund bei ihm übernachten wolle. Der sagte seiner Freundin für den Sonntag ab und ihm zu, setzte sich verabredungsgemäß in den Bus und fuhr nach Traar. Dort ging er zum Elternhaus des Angeklagten. Auf dem Parkplatz sei der Angeklagte aus seiner Deckung hervorgesprungen und habe ihm Pfefferspray ins Gesicht gesprüht und mit dem Messer auf ihn eingestochen.

Der 17-Jährige schilderte, dass er zunächst überhaupt nicht begriff, was geschah. Instinktiv habe er sich zu schützen versucht, sei dann im Sprint weggelaufen. Trotz Maske habe er seinen Freund erkannt und versucht, mit ihm zu reden. Was soll das, du versuchst gerade, deinen besten Freund umzubringen, habe er in einer Mischnungen aus Weinen und Aufregung gerufen. "Du bist doch mein bester Freund, und ich liebe dich", las die Vorsitzende Richterin Ellen Roidl-Hock aus dem Vernehmungsprotokoll der Polizei vor. Der 17-Jährige bestätigte, das so gesagt zu haben. Der Angeklagte indes habe unaufgeregt in normalem Tonfall gesprochen. Er habe geantwortet: "Ich weiß, ich liebe dich auch." Beide betonten, dass damit keine Liebe im Sinne einer Beziehung gemeint war.

Das Opfer schaffte es bis zur Moerser Landstraße. Dort kam ein roter Volkswagen, dessen Fahrer den 17-jährigen Schwerverletzten mit in eine Eisdiele genommen hat. Dort erhielt er Erste Hilfe und kam mit dem Rettungswagen ins Helios-Klinikum.

Der Täter versteckte sich eine Nacht in einem nahe gelegenen Wald. Sein Vater nahm Kontakt über Whatsapp mit ihm auf, holte ihn am Kirschkamperhof ab, fuhr mit ihm zuerst nach Hause, aß und trank etwas, zog sich um und fuhr mit dem Vater zur Polizei, um sich zu stellen. Seitdem sitzt der Angeklagte in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Heinsberg. Von dort hat der Traarer unbemerkt von der Justiz aus seiner Zelle einen Brief an den ehemals besten Freund geschrieben. Es tue ihm leid, und er hoffe, dass sein Urlaub gut gewesen sei. "Entschuldigung kann man das nicht nennen", sagte das als Zeuge geladenen Opfer. Er lehnte es auf Befragen ab, vom Täter persönlich im Gerichtssaal angesprochen zu werden. "Ich habe keine Ahnung, warum", sagte der 17-Jährige. Und so ging es auch den Prozessbeobachtern. Motiv? Das bleibt unklar.

(sti)
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