Krefeld Der große Unbekannte
Krefeld · Der Fall "Jaqueline" wird immer mysteriöser. In der gestrigen Verhandlung erkannte kein Zeuge den angeklagten Marco W. wieder. Auch die DNA-Spuren weisen in eine andere Richtung. Gibt es einen großen Unbekannten?
Ganz in schwarz betritt die 25-jährige Blondine den Schwurgerichtssaal des Krefelder Landgerichts. In ihren Augen stehen Tränen, in der Hand hält sie das Kreuz ihrer Kette. Gerade mal 17 Jahre alt war sie, als ihre Mutter, eine verheiratete Hausfrau, bei manchen Männern besser bekannt unter dem Namen "Jaqueline", in einem Appartement am Winnertzhof erdrosselt wurde. Acht Jahre später läuft nun der Prozess gegen Marco W., den mutmaßlichen Täter, der die Prostituierte am 3. April 1998 am späten Nachmittag besucht haben soll. Zwei Stunden später war "Jaqueline" tot.
Marco W. bestreitet, jemals im Appartementhaus am Winnertzhof gewesen zu sein. Zwar habe er seiner ehemaligen Lebensgefährtin die Tötung einer Krefelder Hure gebeichtet, es könne sich dabei aber unmöglich um "Jaqueline" handeln. Schließlich habe er noch um 16.26 Uhr an einem Hamburger Automaten Geld gezogen. Zu dieser Zeit soll "Jaqueline" in Krefeld gestorben sein.
Im Februar dieses Jahres dann habe der zweifache Vater die RTL 2-Sendung "Ungeklärte Morde" gesehen, in der auch "Jaqueline" Thema war. Anschließend habe er Albträume gehabt, dachte an Selbstmord. "Er hat mich sogar gebeten, ihm dabei zu helfen. Er war völlig fertig", erinnert sich seine ehemalige Lebensgefährtin Susanne D. an das Gespräch.
Zweifel sind erlaubt
Marco W. habe auch gewusst, dass "Jaqueline" eine Tochter hat. "Er hat mir gesagt, dass er sie in seinem Testament erwähnen wird, um ihr Geld zukommen zu lassen", sagt Susanne D. vor Gericht. "Jaquelines" Tochter, Nebenklägerin in dem Prozess, wischt sich Tränen aus den Augen. Marco W. beobachtet die heute 25-Jährige genau. Sein Sohn Marvin ist jetzt 15 Jahre alt. Er war dabei, als sein Vater Anfang März verhaftet wurde. Überrascht war der Junge nicht. Seine Mutter, Susanne D., hatte ihm längst von der Beichte seines Vaters erzählt. Daraufhin habe auch Marco W. mit seinem Sohn gesprochen, erinnert sich die Ex-Lebensgefährtin.
Doch ist Marco W. wirklich schuld am Tod der Krefelder Prostituierten? Zweifel sind angebracht. Zwar fand die Polizei übereinstimmendes DNA-Material unter den Nägeln der Toten und auch am Griff der Peitsche, mit der sie erwürgt wurde — von Marco W. aber stammen die Spuren nicht. Er kann sich auch nicht an einen Kurzschluss erinnern, den eine heruntergefallene Lampe verursacht haben soll. Den Täter haben Hausbewohner am 3. April 1998 gesehen, sogar ein Phantombild wurde nach ihren Angaben angefertigt. Es gibt auch ein Foto einer Jacke, die ähnlich aussieht wie diejenige, die der Mann damals trug. Marco W. soll so eine Jacke nie besessen haben. Ihn erkannten die Zeugen auch nicht als möglichen Täter. "Ich kann nicht mit Gewissheit sagen, dass er es war", sagt "Jaquelines" Kollegin "Eva". Sie hatte den wahrscheinlich letzten Kunden durch den Spion ihrer Wohnungstür gesehen.
Es bleibt spannend. Auch nach zwei Verhandlungstagen gibt es keine handfesten Beweise. Und Marco W. schweigt weiter.