Krefeld Der Mies-Stipendiat, der in Haus Esters wohnte

Direkter Nachbar der Brexit-Flüchtlinge in den Museumsvillen ist Naufus Ramirez-Figueroa. Für acht Monate durfte der 38-Jährige in Haus Esters leben und arbeiten. Er ist der 16. Mies-van-der-Rohe-Stipendiat. Das bringt ihm 5000 Euro Preisgeld sowie die Möglichkeit, vor Ort zu arbeiten, und eine Einzelausstellung. "Die Vereinigung zweier Flamingos auf einem Blechdach" wird morgen eröffnet.

Der gebürtige Guatemalteke ist ebenfalls ein Erzähler, der die Räume der Bauhaus-Villa mit Geschichten und Assoziationen füllt. Die sind allerdings befremdlicher, subtiler und aus der Biografie des Künstlers zu lesen. Ramirez-Figueroa hat als junger Mann seine Heimat als politischer Flüchtling verlassen und zunächst in Kanada Zuflucht gefunden. Heute lebt er in Berlin. Damals lastete die Verantwortung für seine pflegebedürftige Großmutter schwer auf ihm, erzählt Kuratorin Dorothee Mosters. Die Erinnerungen gemischt mit fiktiven Geschichten hat der Künstler in Skulpturen aus Styropor, Glas und Metall verarbeitet. Die Zimmer werden zu Funktionsräumen, die an Pflegesituationen erinnern - alles durchbrochen mit skurrilen Details. Einem bonbonrosafarbenen Medikamentenregal mit steril-weißen Pillendosen entwächst ein ebenso rosafarbener Unterschenkel: des Künstlers Deutung von Körpertuning und Selbstmedikation, die den Verfall nicht aufhalten können.

Flamingos, die im Tierreich zu den fürsorglichsten Arten zählen und gleichzeitig Exotik versprechen, hat Ramirez-Figueroa in Ketten gelegt, die an Designer-Modeschmuck erinnern. Ihre Körper sind brutal verbogen, in absurden Stellungen strafen sie den Ausstellungstitel von der Vereinigung Lügen. Man denkt an Folter.

Nahezu poetisch wirkt ein Glasobjekt, das der Künstler sein Lieblingswerk nennt: Abgeschottet von Krankenhaus-Paravents liegt eine Venuskammmuschel aus Glas wie auf einem OP-Tisch. Ein leises Wummern verleitet, das Ohr nah an die Muschel zu legen - dann offenbaren sich Fandangoklänge des Cembalospielers Scott Ross. Die Musik, das Glas und die Fantasie sind eine perfekte Mischung.

Das Stipendium fördert Künstler, die in Deutschland noch keine Einzelausstellung hatten. Es ist oft das Sprungbrett für eine internationale Karriere. Für Ramirez sieht es gut aus: Im Sommer stellt er bei der Biennale in Venedig aus, im CAPC Bordeaux und in der Kunsthalle Lissabon.

(ped)
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