Krefeld Der Unermüdliche

Krefeld · Will Cassel wird heute 85 Jahre alt. Kein Alter, um sich zur Ruhe zu setzen, findet er. Täglich malt er noch in seinem Atelier. Ab morgen zeigt er dort neue Bilder, ein Großteil davon Aquarelle mit Blumenmotiven. Werden und Vergehen sind die großen Themen in Will Cassels Werk.

 Will Cassel hat heute seinen 85. Geburtstag. Ans Aufhören denkt der Künstler keineswegs. Jeden Tag muss er eine Stunde malen.

Will Cassel hat heute seinen 85. Geburtstag. Ans Aufhören denkt der Künstler keineswegs. Jeden Tag muss er eine Stunde malen.

Foto: LOTHAR STRÜCKEN

Von Picasso lässt sich lernen. "Er hat jeden Abend eine Stunde gemalt", sagt Will Cassel. Und eine Stunde ist auch für den Krefelder das Minimum — allerdings am Nachmittag, den Vormittage verbringt "der Will" seit eh und je in der City mit Kaffee und Plausch. Nach dem Mittagsschlaf geht es ins Atelier mit Blick ins Naturschutzgebiet: "Es ist wichtig, seinen Rhythmus zu halten, sonst wird man alt", sagt Cassel, der heute 85 wird. Aber alt wirkt er nicht, auch wenn er neuerdings eine Brille trägt. Ein Zugeständnis an die Natur, die Jahresringe in den Körper eingraviert.

Ölbilder sind ein Rausch

Auch die Reduktion der kraftraubenden großen Ölbilder ist der Vernunft geschuldet, körperliche Kräfte auch einzuteilen: "Die Ölbilder sind ein Rausch, die fordern einen körperlich. Das ist nicht mehr täglich möglich." Deshalb sind ein Großteil der neuen Arbeiten, die Cassel ab morgen in seinem Buschhüterhaus zeigt, Aquarelle. Blumenbilder füllen eine Wand: Rosen und Klatschmohn in gesundem Rot, blühend und strahlend schön. Werden und Vergehen sind die großen Themen in Will Cassels künstlerischem Welttheater. Doch nach einer grauen Phase, nach vielen Vanitas-Arbeiten, prunkt hier das Leben auf der Leinwand. Cassel freut sich, dass es auffällt: "Ich habe eine neue Kollektion an Aquarellfarben." Neues zu entdecken und in den eigenen Kunstkosmos einzubinden, das hält in Schwung, findet der Künstler.

Viele Kunstströmungen hat Cassel erlebt, auch manche Mode kommen und gehen sehen. Meistens amüsiert: "Ich lache mich darüber kaputt, wie die Krefelder miesen: Van der Rohe ist 1920er Jahre, auch danach kommt noch was. Architektur entwickelt sich doch." Bausünden begehen und gleichzeitig Bauhaus feiern — dass passt für Cassel nicht zusammen. Anders als in seinem Kosmos, wo die Erdkugel, der Kreis als Symbol der Unendlichkeit, die Reduktion auf den Zwerg, der im Laufe seines Künstlerlebens auch mal bis auf den Mützenzipfel reduziert wurde, und die Bühne der Eitelkeiten, die manchmal auf Kaffeetassenformat geschrumpft wird, Kontinuität zeigen.

Er mag nicht schimpfen auf die, die sich als Neuerfinder der Kunst stilisieren. Aber Beuys trägt er immer noch nach, dass er "Duchamp geschlachtet hat", dass er ihn als überbewertet bezeichnet habe, aber doch mit seiner Kunstidee gearbeitet habe: Marcel Duchamp (1887-1968) war Mitbegründer der Konzeptkunst und hat 1913 für einen großen Kunstskandal gesorgt, als er sagte, schon die Auswahl eines Gegenstandes sei Kunst.

Einen großen Skandal hat es bei Cassel nicht gegeben, wohl etliche Rebellionen. Denn Cassel, der Beamtensohn, ist mit Kunstaktionen in den 1960ern und 1970ern für seine Überzeugungen eingetreten: "Aber immer nur für die Freiheit, nicht für politische Ideologien. Jeder Mensch, erst recht ein Künstler, muss Ich-Entscheidungen treffen, keine Strömungen aufgreifen. Sonst ist man nur ein Zug-Aufspringer. Die wichtigsten Entscheidungen kommen aus dem Bauch", sagt Cassel. "Wie die Bilder".

Wie sehr er sich auf die Bauch-Aussagen verlassen kann, zeigt die Ausstellung in Gegenüberstellungen von 38 neuen Arbeiten, die sich zum Teil auf sechs Bilder aus den 1980er Jahren beziehen. Paradebeispiel ist ein Clown, der 1984 auf einem Podest in einem grafisch aufgeräumten Zelttheater Geige spielt. 2012 ist seine Stradivari ein Boot, in dem er schwankend steht - aber immer noch die Saiten streichend und in optimistischen Farben. Cassels Welt ist bunt, unermüdlich malt er seine Kritik und die Ernüchterungen - und findet immer wieder zu den leuchtenden Tönen, zeichnet dazwischen mit Bambus zartdetaillierte Bäume und baut seinen Zwergen neue Welttheater-Bühnen. "Ich lebe gern mit dem Zwerg und fühle mich gut mit meiner Kunst", erklärt er. Und deshalb will er weitermalen, täglich. "Solange ich da bin."

(RP/ac)
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