Krefeld Die erste Bürgerwerkstatt: Große Debatte um ein ungliebtes Haus

Krefeld · 120 Teilnehmer, neun Arbeitsgruppen, fünfeinhalb Stunden Debatte: Die Bürgerwerkstatt zum Seidenweberhaus war gut vorbereitet und zeitigte eine beeindruckende Diskussion. Am Ende stand auch so etwas wie Aufbruchstimmung: Wenn der Neuanfang auf dem Theaterplatz glückt, ist es ein Quantensprung für Krefeld.

 Grundlage für die Debatte in den Arbeitsgruppen waren Plakate mit den Expertenthesen; nach den Diskussionsrunden waren die Plakate beklebt mit den Anmerkungen und Fragen der Teilnehmer an der Bürgerwerkstatt.

Grundlage für die Debatte in den Arbeitsgruppen waren Plakate mit den Expertenthesen; nach den Diskussionsrunden waren die Plakate beklebt mit den Anmerkungen und Fragen der Teilnehmer an der Bürgerwerkstatt.

Foto: Lammertz

Vor dem Fenster breitete sich das städtebauliche Elend aus, um dessentwillen man hier im Theaterfoyer zusammengekommen war: die nass-schmutzige Fassade des Seidenweberhauses, an seinen Rändern belagert von der Krefelder Drogenszene, die dort Schutz vor dem Regen suchte. Tristesse pur.

Als die neun Arbeitsgruppen am Samstagnachmittag diszipliniert und pointiert ihre Ergebnisse vorstellten, war klar: Diese Werkstatt ist der Auftakt einer Bürgerbeteiligung, die sich nicht in Alibi-Veranstaltungen oder substanzlosen "Wünsch-dir-was"-Konzerten erschöpft. Da wurde von Leuten diskutiert, die die Stadt genau kennen und auf fachlich hohem Niveau über einen Neuanfang nachdenken. Planungsdezernent Martin Linne gab der Hoffnung Ausdruck: Auch wenn am Ende kein breiter Konsens, sondern eine 51:49-Prozent-Entscheidung steht, wird es eine von der Bürgerschaft getragene, weil transparente Entscheidung sein - die dann hoffentlich umgesetzt wird.

Krefeld: Die erste Bürgerwerkstatt: Große Debatte um ein ungliebtes Haus
Foto: Lammertz

Trotz eines erkennbaren Trends zur Variante "Abriss des Seidenweberhauses" war die Debatte kontrovers und ließ viele Optionen erkennen. Die ersten fünf Gruppen sprachen sich mehrheitlich für einen Abriss aus - wobei die Frage strittig war, ob man eine neue Halle wieder auf dem Theaterplatz bauen sollte oder an einem anderen Ort. Wie schön unbebaute, großzügige Plätze vor Häusern der Kultur sein können, kann man in Duisburg am Opernplatz besichtigen. Die Maxime dort: Man muss einen Platz nicht vollbauen - man kann ihn wirken lassen. Diese Variante ist auch in Krefeld schon diskutiert worden. Zu den bautechnischen Besonderheiten würde dann gehören, die Tiefgarage teilweise zu fluten (also zu beschweren), damit der Baukörper nicht vom Grundwasser hochgedrückt wird.

Die letzten vier Gruppen gingen auch die andere Möglichkeit durch: Erhalt des Gebäudes, wobei es nie um reine Wiederherstellung ging. Wer für Sanierung war, wollte auf jeden Fall strukturelle Eingriffe in den Komplex. Dass der als riesig empfundene Baukörper zurückgebaut werden müsste, um verschüttete Blickachsen wieder sichtbar zu machen, war Konsens. Eine Gruppe schlug vor, das Seidenweberhaus zu entkernen und vollständig neu einzuhausen - mit neuer Außenhaut und neuen Ausmaßen.

Krefeld: Die erste Bürgerwerkstatt: Große Debatte um ein ungliebtes Haus
Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Eine deutliche Mehrheit sprach sich dafür aus, den Theaterplatz zu beleben. Eine Gruppe plädierte dafür, den Platzabschnitt zum Ostwall hin als Park zu gestalten. Gesprochen wurde über kleinteilige Gastronomie, die nur dann funktionieren würde, wenn sie der Sonne zugewandt wäre. "Das Hexagon hatte nie eine Chance auf Außengastronomie, weil das Restaurant im Schatten des Seidenweberhauses liegt", sagte etwa Planungsdezernent Linne; läge die Gebäudefront an der Ostwall-Seite, hätten Cafés und Gaststätten dort den ganzen Tag über Sonne. Daher der Vorschlag, Neubauten entlang der Ostwallseite zu platzieren.

Deutlich wurde, dass dies auch wirtschaftlich bedeutsam ist: Ein Platz mit Aufenthaltsmöglichkeiten wäre als Kongresszentrum deutlich attraktiver als heute; die Auslastung wäre besser - ein Neubau würde so mittelfristig günstiger werden. Eines der größten Aha-Erlebnisse der Werkstatt war die Unzufriedenheit mit der St.-Anton-Straße. Ihrer Gestaltung kommt fast eine Schlüsselrolle zu, denn die Belebung des Theaterplatzes hängt auch davon ab, dass die Straße weniger Grenze ist. Der Konflikt an dieser Stelle: Die Straße wird als Verkehrsachse gebraucht - auch als Zubringer für Gäste der City aus dem Westen; darauf wies Christoph Borgmann als Vorsitzender der Werbegemeinschaft hin. Zugleich prägt die Straße auf ungute Weise das Bild der City und schneidet die Innenstadt von dem größten, einst vielleicht schönsten Platz der City ab. Der Ruf nach Untertunnelung wurde laut, verhallte aber - die Kosten dürften utopisch hoch sein. Folgt man Planungsdezernent Linne, gibt es aber Möglichkeiten genug, beide Ziele - Funktionalität als Verkehrsachse plus mehr Gefälligkeit in der Optik - miteinander zu vereinbaren.

Krefeld: Die erste Bürgerwerkstatt: Große Debatte um ein ungliebtes Haus
Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Es sind Ergebnisse und Thesen, die erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wurden: Die "Bürgerwerkstatt", die am Samstag im Foyer des Theaters stattfand, ist im Oktober von einer 18-köpfigen Expertenrunde vorbereitet worden.

 Ratspolitiker waren als Beobachter dabei, hier Joachim Heitmann (FDP).

Ratspolitiker waren als Beobachter dabei, hier Joachim Heitmann (FDP).

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Architekten, Städteplaner (auch externe) und Krefelder Akteure haben einen Tag lang den Theaterplatz und seine Umgebung erkundet und Stärken und Schwächen des Quartiers zusammengetragen. Die Ergebnisse sind bislang nicht veröffentlicht worden; die Kernthesen wurden erstmals bei dem Bürger-Workshop am Samstag vorgestellt und sollen demnächst den Ratspolitikern zugänglich gemacht werden. Wir dokumentieren die Thesen; sie sind den 120 Teilnehmern der "Werkstatt" auf Plakaten vorgestellt worden.

Phase eins: Eindrücke der Experten

"Talente" meint Positives, "Restriktionen" Schwächen.

Talente

l Positive Ausstrahlung von Theater und Mediothek.

l Markante Hexagon-Idee ist konsequent umgesetzt.

l Sehr hohe städtebauliche Qualität auf der Carl-Wilhelm-Straße; Anknüpfungsmöglichkeiten für eine Weiterentwicklung dieser Achse zum Ostwall hin.

l Im Umfeld lebendige Mischung aus Einzelhandel, Wohnen und Gastronomie.

l Kleinteilige Straßenzüge mit angenehmer alltäglicher Atmosphäre.

Restriktionen l Lieblose Gestaltung des Theaterplatzes (Müllbehälter, Beschilderung, Bepflanzung).

l Keine klare räumliche Abgrenzung des Theaterplatzes zum Kreuzungsbereich Ostwall/ St. Anton-Straße. l Schnittstelle Mediothek/ Theater durch das Gebäude des Cafés zu kleinteilig und nicht eindeutig gestaltet, der ehemalige Durchgang zur Lohstraße ist verbaut.

l Die hohe Qualität der Carl-Wilhelm-Straße wird auf dem Theaterplatz nicht weitergeführt.

l Theaterplatz und Seidenweberhaus unterbrechen den historischen Stadtgrundriss; die früher durchgehenden Straßenzüge Loh- und Färberstraße sind gekappt.

l Barrierewirkung der St.-Anton-Straße zwischen dem Theaterplatz und dem südlichen Innenstadtbereich; sie trennt die Einkaufslagen vom Seidenweberhaus und dessen Umfeld; Querungsmöglichkeiten fehlen.

l Geringe städtebauliche Qualität

im rückwärtigen Bereich des Theaters (Färberstraße, Gartenstraße) durch Zufahrten, abgestellte Mülltonnen, Lieferzonen und Flächen ohne eindeutige Nutzung.

Phase zwei: Erkenntnisse der Experten

l Das Seidenweberhaus erscheint in der heutigen Form und an diesem Ort nicht zukunftsfähig.

l Zu klären ist, ob Krefeld einen Veranstaltungsraum braucht und wo dieser angesiedelt sein soll. l Eine Veranstaltungsstätte am Theaterplatz ist auch künftig sinnvoll; hierfür muss ein neues Konzept mit neuem Raumprogramm entwickelt werden.

l Für den Theaterplatz sollte ebenfalls ein neues Nutzungs- und Gestaltungskonzept entwickelt werden.

l Die Barrierewirkung der St.-Anton-Straße sollte durch Umbaumaßnahmen aufgelöst werden.

l Die Bürgerschaft ist in die Erarbeitung eines Nutzungskonzeptes für den Theaterplatz und für eine neue Veranstaltungsstätte einzubinden.

Phase drei: Aspekte der Planung

l Sollte das Seidenweberhaus abgebrochen werden, dann sollte der Theaterplatz zur Königstraße hin durch einen Neubau begrenzt werden. Hier könnten Wohnungen, Büros oder Dienstleistungen Platz finden, die den Platz tagsüber beleben. Es ist zu überlegen, ob junge Menschen als Zielgruppe für Wohnraum besonders angesprochen werden könnten. Gastronomie könnte den Platz zusätzlich beleben.

l Die Achse vom Rathaus zum Theaterplatz mit ihren räumlichen Qualitäten sollte in das Konzept für den Theaterplatz eingebunden werden.

l Wenn das Seidenweberhaus abgebrochen werden sollte, so wäre bei einer Neuplanung des Theaterplatzes darauf zu achten, dass die Lohstraße als Fußgängerverbindung nach Norden fortgeführt wird.

l Durch eine Auflösung der Barrierewirkung der St.-Anton-Straße könnte die Lohstraße ihre Funktion als Verbindung zu den Geschäftslagen der Innenstadt zurückerhalten.

l Der Theaterplatz könnte als Freiraum begriffen werden, auf dem Unterschiedlichstes stattfinden kann. Denkbar wären temporäre kulturelle Nutzungen. Vorstellbar wäre eine teilweise Überdachung des Platzes. Unter dem Dach könnte ein Markt stattfinden. Möglich wären auch kleinere Gebäude oder Kuben unter dem Dach.

l Der Theaterplatz ist heute sehr groß. Mehr Aufenthaltsqualität könnte durch eine Verkleinerung und Begrenzung durch zusätzliche Baukörper geschaffen werden.

l Der Theaterplatz sollte zum Ostwall und zur St.-Anton-Straße begrenzt werden. In einer neuen Bebauung entlang des Ostwalls könnte ein Hotel untergebracht werden.

(RP)
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