Krefeld Die letzten Tage des Ostwall-Kaufhofs

Krefeld · Vor 40 Jahren wurde das ehemalige Horten-Haus am Ostwall feierlich eröffnet. Helmut Horten ließ in seinem Privatjet zwölf Zentner Spargel aus Südfrankreich einfliegen. Am Samstag schließt das Warenhaus für immer. Ein Bericht über den Anfang, das Ende und das Danach.

Er kam natürlich mit dem Rolls Royce. Kurz vor der offiziellen Eröffnung seines Warenhauses am Ostwall in Krefeld wollte sich Helmut Horten persönlich davon überzeugen, dass dieses Haus sein bestes war. Allein mit seinen engsten Mitarbeitern schritt der 61-Jährige durch die 14 000 Quadratmeter Warenverkaufsfläche. 70 Spezialabteilungen auf fünf Etagen und ein Warensortiment aus mehr als 50 Ländern — solch eine Auswahl hatte nicht mal das Horten-Haus im vornehmen Hamburg zu bieten. "Horten, ein Kind des Niederrheins, wollte seinen kometenhaften Aufstieg unbedingt mit einem Haus in Krefeld, der Metropole des Niederrheins, schmücken", erinnert sich Franz-Joseph Greve, Vorsitzender der Werbegemeinschaft der Innenstadtgeschäfte.

Vier Jahre zuvor hatte der Kaufhaus-König Horten seine 32 Jahre jüngere Sekretärin Heidi Jelinek geheiratet und ihr zur Hochzeit den Blauen Wittelsbacher geschenkt — ein 35-Karat-Diamant aus den Kronjuwelen der bayerischen Königsdynastie, dessen Farbe auch im Wappen des Freistaats auftaucht.

1100 Mitarbeiter, 150 verschiedene Brotsorten

Ein Hochkaräter soll auch das Horten-Haus in Krefeld werden — ein Wirtschafts-Wunder in Stahl und Beton. Neun Monate zuvor sind die Menschen zum Mond geflogen; Horten will den Krefeldern den Himmel auf Erden präsentieren. Es gibt Nerzmäntel in der Damenboutique. Es gibt 150 verschiedene Brotsorten im warenhauseigenen Supermarkt, dem ersten in Krefeld. Es gibt sogar eine eigene Antiquitäten-Abteilung. 1100 fest angestellte Mitarbeiter und 400 Aushilfen sind die emsigen Arbeitsbienen in dem Wabenbau am Ostwall.

Eine davon: die 23-jährige Anne Kurth. "Zur Eröffnung sollten wir uns in schwarz kleiden und eine weiße Nelke ans Kleid stecken", erinnert sie sich. "Wir hatten eigene Metzger, eigene Handwerker, eigene Schneider." Zur Eröffnungsfeier am 22. April 1970 lässt Helmut Horten mit seinem privaten zweistrahligen Düsenflugzeug, einer BAC 1-11, 120 Zentner Spargel aus Südfrankreich nach Krefeld bringen.

Die 200 Ehrengäste sind entzückt. Hortens Warenangebot ist so groß, dass es gar nicht in den 60-Millionen-Bau passt. Das Sport-Sortiment wird deshalb in einer 700 Quadratmeter großen Traglufthalle auf dem Sprödentalplatz untergebracht. Krefelds Bürgermeister Horst Jöbges ist sich in seinem Grußwort sicher: "Das neue Kaufhaus wird zu einem Magneten für die Bewohner des Niederrheins!"

Happy Hour bei den Handtaschen

Exakt 40 Jahre später hat der zwischenzeitlich müde Magnet neue Anziehungskraft entwickelt. Die Schnäppchenjäger sind unterwegs. Beim Kauf von vier Teilen das fünfte gratis, ohnehin bis zu 80 Prozent Rabatt, obendrauf noch zehn Prozent Abzug an der Kasse. Per Lautsprecherdurchsage wird auf die Happy Hour bei den Handtaschen hingewiesen. Die gibt's jetzt für die Hälfte des bereits reduzierten Preises. Der langjährige Geschäftsführer Volker Krips ist zum Jahreswechsel in Altersteilzeit gegangen; den Niedergang des Horten-Hauses zur Schnäppchenbude wollte er sich nicht mehr antun. Eine Frau wickelt den Laden ab.

Die Psychologie des Ausverkaufs

Corinna Gehrke war noch gar nicht auf der Welt, als Horten in Krefeld öffnete. Seit Anfang des Jahres ist die 35-Jährige Geschäftsführerin der Kaufhof-Filiale am Ostwall. Mitarbeiter loben ihre "verbindliche Art", ihre "positive Ausstrahlung" und ihren Frohsinn: An ihrem Bürostuhl heftet ein Rabattschild. "60 Prozent" steht da drauf. Gehrke arbeitete früher bei Karstadt — musste dort eine Hertie-Filiale schließen und sich anschließend selbst arbeitsuchend melden. "Ich weiß, wie sich das anfühlt, zum Arbeitsamt zu müssen." Viele der 80 Mitarbeiter konnte sie bei anderen Filialen in Krefeld an der Hochstraße, in Neuss oder Mönchengladbach unterbringen. Bei einem Drittel hat das nicht geklappt. Sie bekommen eine Abfindung. "Wir haben einen Vertreter der Arbeitsagentur in den Kaufhof eingeladen. Dort hat er mit jedem einzelnen geübt, wie man richtig eine Bewerbung verfasst." Nach Angaben des Betriebsrats "hängen zurzeit noch drei, vier Arbeitnehmer in der Luft".

Die Liquidierung des Warenhauses, so Gehrkes Auftrag, soll möglichst kostenneutral verlaufen — und den Kaufhof am Neumarkt nicht beschädigen. Eine Visitenkarte hat sie nicht. Ende Juni endet ihr Job in Krefeld. Der Druck hätte sich nicht gelohnt. Was sich aber beim Ausverkauf lohnt: Psychologie. "Wir haben die Schaufenster abgeklebt, um Neugierde zu erzeugen und bewusst auf andere Farben gesetzt", erklärt Gehrke. Das Kaufhof-Grün ist am Ostwall verschwunden, stattdessen wirbt knalliges orange für die Sonderangebote.

Der schleichende Niedergang des Warenhauses

Alles, was sich noch gut verkaufen ließ, sendete Geschäftsführerin Gehrke in andere Filialen. Ladenhüter wie die Marmeladendöschen "Alt Luxemburg" von Villeroy und Boch wurden herabgesetzt. Und obendrein orderte Gehrke jede Menge Aktionsware. So voll wie jetzt, da sind sich die Mitarbeiter einig, war der Kaufhof am Ostwall schon viele Jahre nicht mehr. Und manch einer stellt sich die Frage: Hätte man ihn so nicht doch retten können? "Nein", entgegnet Gehrke. "So ein Ausverkauf ist ein Strohfeuer, zeitlich sehr begrenzt."

So kurz vor dem Ende schlägt das Strohfeuer hohe Flammen. Vor den Kassen bilden sich lange Schlangen. Je leerer die Regale, desto voller das Haus. In den oberen Geschossen sind große Flächen schon leer geräumt. Gehrke blickt zufrieden auf die Umsatzzahlen.

Wie konnte das bloß passieren — vom breit aufgestellten florierenden Kaufhaus zum Liquiditäsobjekt? Der Niedergang kam schleichend. Funktionierten Warenhäuser in den 70er und frühen 80er Jahren noch hervorragend — damals lag ihr Anteil am Einzelhandelsumsatz bei 14 Prozent —, machten ihnen in den 90er Jahren die Einkaufszentren und das gestiegene Markenbewusstsein der Konsumenten das Leben schwer. Der gewiefte Kaufmann Horten hatte sich schon früh von seinen Warenhäusern verabschiedet. Er zog nach Tessin, verkaufte dort seine Aktienanteile — und brauchte dank einer Gesetzeslücke keine Steuern auf den Millionen-Gewinn zu zahlen.

Als im Herbst 2008 die Immobilien- zur Wirtschaftskrise wird, verschärft sich die Lage dramatisch. Heute haben die Warenhäuser nur noch einen Umsatzanteil von 3,3 Prozent, Tendenz eher sinkend. In Zeiten der Krise seien die Warenhäuser nicht die ersten Ziele, die Kunden für ihren Einkauf ansteuern, erklärt Mirko Warschun, Analyst bei A.T. Kearney. Krisengewinner seien dagegen Discounter wie Aldi, Lidl und Kik. "Diese beschleunigten teilweise sogar ihr Wachstum." 260 Warenhäuser gibt es zurzeit in Deutschland. Nach einer Commerzbank-Studie eignen sich 100 Standorte dauerhaft für ein klassisches Warenhaus.

Es liegt länger als ein Jahr zurück, dass die 80 Mitarbeiter starke Belegschaft des Kaufhofs am Ostwall erfuhren: Ihr Arbeitsplatz existiert bald nicht mehr. "Das war am 12. März 2009", sagt Anne Kurth. Das Datum ist ihr so präsent wie ihr Geburtstag. Als Betriebsratsmitglied wurde sie nach Köln eingeladen, in die Kaufhof-Zentrale an der Leonhard-Tietz-Straße. "Wir hatten eine Vorahnung und noch mehr Personaleinsparungen erwartet. Aber die Schließung hat uns total überrumpelt. Es gab viele Tränen." Am Abend des 12. März steht Kurth in ihrer Küche. Am nächsten Tag erwartet sie Gäste. Es ist ihr Geburtstag. Gefeiert wird in gedrückter Stimmung im Wohnzimmer, wo die Vitrine steht, die sie einst in der Antiquitätenabteilung kaufte.

Wie geht es nach dem Ende weiter?

Kurth war dabei, als in der Verwaltung von Lochstreifen auf Computer umgestellt wurde. Als die zwei Verwaltungsetagen plötzlich zu groß wurden. Als der hauseigene Supermarkt nicht mehr von Horten, sondern von Edeka betrieben wurde. Als Metzger, Schneider und Handwerker gehen mussten. Sie wechselte von der Buchhaltung in die Personalabteilung in die Telefonzentrale in den Warenversand. Dort verschickt sie heute die letzten Güter aus dem Ostwall-Kaufhof in die anderen Filialen.

Bis 9. Juni wird sie noch gebraucht. Dann ist der Kaufhof leer. Anne Kurth ist jetzt 63 Jahre alt. Zu alt, um noch eine Stelle in einer der umliegenden Kaufhof-Filialen zu bekommen. Kurth war beim Arbeitsamt. "Die Leute dort sind sehr freundlich", sagt sie. Mehr sagt sie nicht. Letzten Monat war Kurth 40 Jahre beim Kaufhof am Ostwall beschäftigt. Das muss doch, trotz der Umstände, gefeiert werden. Am 2. Juni nehmen die Mitarbeiter intern Abschied. "Und ganz bewusst im leeren Kaufhof", sagt Geschäftsführerin Gehrke. Dann soll auch Kurth geehrt werden, als eine von sechs Jubilaren. Und dann? "Mache ich erstmal zwei Wochen Urlaub."

Wer die Fußgängerzone vor dem Kaufhof entlangläuft, sieht Ein-Euro-Shops und leere Geschäfte. Als Kaufhof ankündigte, die Filiale dort zu schließen, gab Mexx sein Ladenlokal auf und baut bald an der Hochstraße. Tchibo schloss und kehrt nicht mehr zurück. Ab Montag werden die Kaufhof-Schaufenster wohl Werbung für den Kaufhof am Neumarkt machen. Und ab 30. Juni, wenn Corinna Gehrke die Schlüssel abgegeben hat?

Die Antwort auf diese Frage könnte nur Joseph Karp geben. Er ist Senior Vice President beim Immobilieninvestor Apollo Rida und verantwortlich für zwölf Kaufhof-Filialen in Deutschland. Die kamen vor einigen Jahren ins Portfolio des Joint Ventures zweier US-Investmentfirmen. Sein Büro hat Karp in der 25. Etage des Warsaw Trade Centers, dem höchsten Bürogebäude in der polnischen Hauptstadt. Früher gehörte der 42-stöckige Wolkenkratzer dem koreanischen Autohersteller Daewoo und stand ziemlich leer. Dann kaufte Apollo Rida das Gebäude, holte American Express, Nike und andere Weltmarken. Jetzt ist Leerstand kein Thema mehr. Vor sechs Jahren kaufte Apollo Rida von der Metro-Gruppe viele Real- und Praktikermärkte in Polen. Quasi als Mitgift bekam die Firma die zwölf Kaufhof-Filialen, darunter eine in Ludwigshafen. Auch die wird am Samstag geschlossen.

In Ludwigshafen ist klar, wie es danach weitergeht. Der Shopping-Center-Betreiber ECE baut in Sichtweite des Kaufhofs für 220 Millionen Euro ein Einkaufszentrum mit 120 Geschäften. Widerstand des örtlichen Einzelhandels gab es nicht; mangels Einzelhändlern. Die Ludwigshafener City besteht zum überwiegenden Teil aus Ein-Euro-Shops und Billig-Bäckereien. Dort wird das Einkaufszentrum daher als Chance für eine Belebung der verödeten Innenstadt angesehen.

Verhandlung mit Möbelhauskette

Krefelds Oberbürgermeister Gregor Kathstede (CDU) glaubt ebenfalls, dass ein Shopping Center die City beleben würde — "wenn es nicht zu groß ist". Die ECE-Offerte, ein Giga-Zentrum auf dem Theaterplatz zu bauen, in das der leere Kaufhof integriert wird, lehnten Krefelds Politiker fraktionsübergreifend ab. Erstmal soll ein Einzelhandels-Gutachten her. "Nachhaltigkeit ist wichtiger als eine schnelle Lösung. Es läuft uns nichts weg!", heißt es in einem Strategiepapier des Einzelhandelsverbands. Es müsse allerdings alles getan werden, um einem Niedergang des Quartiers entgegenzuwirken. "ECE hatte bis vor kurzem eine Option auf das Horten-Haus", sagt Kathstede. "Das hat den Eigentümer natürlich blockiert." Joseph Karp von Apollo Rida informiert regelmäßig den Chef der Wirtschaftsfördung, Eckart Preen. "Er sagt, es gibt zurzeit Gespräche mit Interessenten", berichtet Preen und bestätigt: Darunter ist auch die österreichische Möbelhauskette XXXL Seit 1975 stellte die Firma jedes Jahr mehr Mitarbeiter ein.

(RP)
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