Krefeld Die Menschmaschine

Krefeld · Gibt es noch Orte oder Dinge, auf die der Mensch nicht einwirkt? Eine Ausstellung, die morgen in Haus Lange und Haus Esters startet, fragt nach der Natürlichkeit der Natur. "Die Kräfte hinter den Formen" zeigt zwölf internationale Künstler.

 Ilana Halperin aus New York hat in einer Höhle der Auvergne Kautschukmodelle und Holzschablonen mit Kalkstein ansetzen lassen.

Ilana Halperin aus New York hat in einer Höhle der Auvergne Kautschukmodelle und Holzschablonen mit Kalkstein ansetzen lassen.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Der junge Mann hat seine Haare sehr sorgfältig zu einem Zopf zusammengebunden. Junge Männer tragen heute wieder häufiger solche Frisuren - Frauen übrigens auch. Er steht dort, neben einem Hubschraubermotor, und blickt unbeteiligt in die Menge. Er zieht seinen Pullover aus, dann sein T-Shirt, es folgt die Hose und, als er in Unterhose neben einem steht und man denkt, dass er jetzt fertig sei, entblößt sich der Zopfträger vollständig. Souverän hebt er das eine Bein über den meterlangen Motor und setzt sich darauf. Am anderen Ende des Motors wird eine Flamme immer kleiner. Sonst passiert nichts mehr. Der Mann bleibt sitzen.

Mensch und Maschine verschmelzen, werden eins. Sie wirken wie natürliche Bestandteile zueinander, und bleiben sich doch so fremd. Roger Hiorns hat diese Installation 2013 als Skulptur "Untitled" (Ohne Titel) geschaffen. Ab morgen ist unter anderem dieses Werk in der Ausstellung "Die Kräfte hinter den Formen - Erdgeschichte, Materie, Prozess in der zeitgenössischen Kunst" - der Name geht auf Per Kirkeby zurück - in Haus Esters zu sehen. Jeden Sonntag, um 15 Uhr, ist außerdem ein Performer zugegen, der sich, wie beim ersten Rundgang der junge Mann mit Zopf gestern, entblößt.

 Wer hat es geschaffen: Natur oder Mensch? Jens Risch hat einen Kilometer Seidenfaden so lange geknotet, bis es nicht mehr ging.

Wer hat es geschaffen: Natur oder Mensch? Jens Risch hat einen Kilometer Seidenfaden so lange geknotet, bis es nicht mehr ging.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Die Ausstellung in Haus Esters und Haus Lange wirft Fragen nach der Natürlichkeit der Natur auf. Ist die Umwelt, die Landschaft, also eigentlich alles, vom Menschen dominiert? Wirkt er auf alles ein und macht es sich sogar zu eigen? Kuratorin Magdalena Holzhey sagt: "Wichtig ist, dass die Ausstellung keine ökologischen Probleme illustriert." Will heißen, "Die Kräfte hinter den Formen" liefert keine Antworten, will sie auch gar nicht liefern, sondern stellt bloß Fragen. Fragen, die das 21. Jahrhundert prägen.

Es sind zwölf internationale Künstler sehr verschiedenen Alters, die Zeichnungen, Installationen, Skulpturen oder Dokumente präsentieren. Der jüngste Künstler ist mit 28 Jahren Julian Charrière, der das Titelbild zur Ausstellung liefert. Es zeigt Charrière, wie er auf einem einzelnen im Meer treibenden Eisberg steht, und mit einem Schweißbrenner den Eisberg zum Schmilzen bringt. Acht Stunden habe er dort gestanden, hat Charrière der Kuratorin Holzhey erzählt. Das war wohl nicht ganz aufrichtig, sagt diese schmunzelnd.

 "Die Kräfte des Künstlers liegen in der ästhetischen Dimension": der Schweizer George Steinmann.

"Die Kräfte des Künstlers liegen in der ästhetischen Dimension": der Schweizer George Steinmann.

Foto: Lammertz

Die Auseinandersetzung mit den Wirkkräften der Natur ist schon lange ein zentrales Thema der Kunst, das eine neue Generation von Künstlern wieder vermehrt aufgreift. Drängende Fragen des Klimawandels mit sichtbaren Folgen bilden sie allerdings nicht bloß ab. Mensch oder Natur? Das ist sehr oft die Frage. Giuseppe Penone hat etwa versucht, einen Stein aus weißem Carrara-Marmor so zu bearbeiten, dass dieser aussieht wie ein anderer. Er wollte die Natur kopieren - und es ist ihm weitgehend gelungen. Jens Risch wiederum hat einen 1000 Meter langen Seidenfaden so lange geknotet, bis es nicht mehr weiter ging. Herausgekommen ist etwas, das täuschend aussieht wie eine Koralle. Anderthalb Jahre hat der Berliner Künstler dafür gebraucht.

Natürlich ist diese Ausstellung, die mit der Galerie im Taxispalais Innsbruck und dem Kunstmuseum Thun entwickelt wurde, politisch. George Steinmann, Künstler aus Bern, sagt: "Wir betreiben keine politische Agitation." Aber er, der im Januar an der Klimakonferenz in Paris teilgenommen hat, wünscht sich, dass die Stimme und das Wissen der Künstler mehr Berücksichtigung im Diskurs finden. "Die Kräfte des Künstlers liegen in der ästhetischen Dimension", sagt er.

Die Ausstellung öffnet am morgigen Sonntag, 20. März, um 11 Uhr und geht am 31. Juli zu Ende.

(her)
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