Schulpartnerschaft Freiherr-Vom-Stein / Evonik "Durch manchen Schüler geht ein Ruck"

Krefeld · Einst waren sie Pioniere: Mit einem Festakt feiern Evonik und Freiherr-vom-Stein-Realschule heute das 20-jährige Bestehen der Partnerschaft zwischen Schule und Unternehmen. Die Zusammenarbeit verändert Unterricht - und Schüler.

 Auf dem Schild auf der Staffelei werden sich alle Gäste des Festaktes heute mit ihrer Unterschrift verewigen - über die Erfahrungen mit der Schulpartnerschaft berichten (v.l.) Lehrerin Renate Heuck, Schulleiter Winfried Kettler, Evonik-Standortleiterin Kerstin Oberhaus und Evonik-Sprecherin Sabine Micevic .

Auf dem Schild auf der Staffelei werden sich alle Gäste des Festaktes heute mit ihrer Unterschrift verewigen - über die Erfahrungen mit der Schulpartnerschaft berichten (v.l.) Lehrerin Renate Heuck, Schulleiter Winfried Kettler, Evonik-Standortleiterin Kerstin Oberhaus und Evonik-Sprecherin Sabine Micevic .

Foto: vo

Als 1997 das Krefelder Chemieunternehmen Evonik und die Freiherr-vom-Stein Realschule eine Kooperation eingingen, betraten beide Neuland - es war die erste Kooperation dieser Art am Niederrhein. Ein Erfolgsmodell für alle Beteiligten. Die Partner feiern das Jubiläum heute, Dienstag, 20. Juni, mit einem kleinen Festakt. Wir sprachen mit Schulleiter Winfried Kettler, Lehrerin Renate Heuck und Evonik-Standortleiterin Kerstin Oberhaus über ihre Erfahrungen. Jutta Reinelt, die das Projekt als Lehrerin von Anfang an begleitet und koordiniert hat, konnte zum Bedauern ihrer Mitstreiter krankheitsbedingt nicht teilnehmen.

Vor 20 Jahren konnten sich die Firmen Azubis aussuchen. Warum hat Evonik sich damals dennoch für diese Partnerschaft stark gemacht? Nötig hatte es das Unternehmen bestimmt nicht.

Kerstin Oberhaus Es war ein Bündel von Gründen. Zum einen war es so etwas wie Verantwortung für das Allgemeinwesen; wir wollten unseren Teil zur Bildungsgemeinschaft beitragen. Zum anderen sind Schüler, die lebendige Eindrücke des Unternehmens mitnehmen, wichtige Multiplikatoren in der Nachbarschaft. Ich denke, dass die Akzeptanz für ein Chemieunternehmen dadurch wächst. Zum dritten profitieren wir natürlich auch davon, Kontakt zu möglichen Auszubildenden zu gewinnen.

Sie sprachen von Bildungsgemeinschaft. Was meinen Sie damit?

Oberhaus Ich bin überzeugt, dass man Bildung als Gemeinschaftsaufgabe mit mehreren Akteuren verstehen muss. Eltern tragen ihren Teil dazu bei, natürlich die Schule, aber eben auch Unternehmen oder Institutionen.

Funktioniert diese Gemeinschaft?

Oberhaus Seitdem die Schulen die Berufsorientierung intensiviert haben, gibt es vielfältige Zusammenarbeit zwischen Schule und Wirtschaft, im Offenen Ganztag auch mit Vereinen.

Herr Kettler, welche Rolle spielt die Kooperation für die Realschule?

Kettler 1997 war das Neuland. Ich weiß noch, wie ich mich gefragt habe, wie diese Vision praktisch umzusetzen ist. Wir waren immerhin die erste Schule am Niederrhein, die sich darauf eingelassen hat. Das Ganze hat sich dann fabelhaft entwickelt. Man könnte fast von einer Übernahme reden: Mittlerweile haben 60 Schüler von uns eine Laufbahn bei Evonik eingeschlagen.

Hat die Partnerschaft den Unterricht verändert? Kann man die Anforderungen eines Chemiebetriebs überhaupt im Schulunterricht abbilden?

Renate Heuck Aber ja. Wir haben damals in Biologie begonnen, Phänomene aus der Evonik-Welt zu thematisieren; das kann man in vielen Fächern. Globalisierung in Erdkunde, Produktion oder Produkte in Physik und Chemie. Wir haben das jeweils zusammen mit den Fachleuten von Evonik erarbeitet und von Fall zu Fall entschieden: Ist es besser, wenn Evonik zur Schule oder die Schule zu Evonik kommt? Oft ist es so, dass wir beides kombinieren. Wir gehen mit den Schülern zu Evonik, je nach Projekt zum Beispiel ins Labor oder auch zur Betriebsfeuerwehr. Aber die Evonik-Mitarbeiter kommen auch zu uns in den Unterricht. Oberhaus Das funktioniert sehr gut. Wir versuchen, Lehrstoff in Industrie zu übersetzen und umgekehrt. Ich denke dabei an meine eigene Schulzeit, wenn man sich gefragt hat: Wozu brauche ich das? Darauf kann man in einer solchen Kooperation gute Antworten finden. Auch ein Fach wie Sozialwissenschaften lässt sich mit Unternehmensprozessen verbinden und konkretisieren. Zum Beispiel durch die Befragung von Arbeitnehmervertretern zu ihren Aufgaben im Betrieb.

Wie reagieren die Schüler?

Kettler Für Schüler sind nicht nur die fachlichen Inhalte wichtig und interessant, sondern die ganze Begegnung mit einem Unternehmen. Und es gibt immer wieder Schüler, die einen Eindruck gewinnen, was sie später einmal machen wollen. Durch manchen geht dann auch ein Ruck. Wir hatten beispielsweise einen Schüler, der sich in Mathematik immer mit einer Drei zufriedengegeben hat. Dann hat er im Bewerbungstraining mit dem Unternehmen realisiert: Das Fach ist für eine Bewerbung bei Evonik wichtig. Und er hat gesagt: Ab heute fang ich an zu arbeiten. Den O-Ton hab ich noch im Ohr.

Gilt das für Mädchen und Jungen gleichermaßen oder sind die Mädchen zurückhaltender gegenüber dem Industriebetrieb?

Heuck Überhaupt nicht; das Interesse ist gleichmäßig verteilt.

Haben sich die Schüler verändert?

Heuck Eher hat sich Schule verändert, seit etwa acht Jahren bieten wir intensive Berufsorientierung an. So werden zum Beispiel durch unsere Kontakte mit Evonik geschlechtsspezifische Hemmschwellen abgebaut.

Die Universitäten beklagen immer wieder eklatante Mängel an Mathematik-Fähigkeiten. Ist das auch an der Realschule und bei Evonik Thema?

Kettler Als Mathe-Lehrer hat man schon den Eindruck, dass generell die Fähigkeiten zu abstraktem und lösungsorientiertem Denken nachgelassen haben. Wir versuchen, das aufzufangen, indem wir fördern, aber auch fordern. Wo immer es möglich ist, gehen wir mit den Schülern in den Erweiterungsstoff. Oberhaus Wir verspüren in der Ausbildung auch solche Tendenzen und sagen dann: Dann müssen wir an der einen oder anderen Stelle nacharbeiten. Diesen Trends sehen wir in Schule und Unternehmen gemeinsam und stellen uns dem gemeinsam. Kettler Und wir setzen auf den Motivationsschub, den Schüler durch den Kontakt mit Evonik erhalten, zum Beispiel bestimmte Fächer wie beispielsweise Mathematik als wichtig für ihren späteren Weg anzusehen.

Wie hat ihre Zusammenarbeit eigentlich begonnen - ging die initiative vom Land aus?

Oberhaus Anfang der 1990er-Jahre hat das Institut Unternehmen Schule Verfahren zur Vernetzung von Schulen und Unternehmen entwickelt. In Zusammenarbeit mit den Industrie- und Handelskammern, Arbeitgeberverbänden und der Schulbehörde wurden danach Kooperationsnetze aufgebaut. Zu den ersten, die am Niederrhein im Kooperationsnetz Schule-Wirtschaft vertreten waren, gehörten Evonik und die Freiherr-vom-Stein Schule. Was 1997 mit einigen Projekten begonnen hat, ist heute zu einer Kooperation mit rund 30 Projekten geworden, von denen alle Seiten profitieren.

JENS VOSS FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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