Krefeld Ein kluger Mann schreibt über eine schöne Frau

Krefeld · Tommy Wieringa beeindruckte beim Literarischen Sommer, weil sein Roman über ein Paar mit großem Altersunterschied auch kritische Töne über Massentierhaltung und Selbstreflexion enthält.

Ein berühmter und mehrfach neu eingespielter Calypso-Song warnte die Männer schon in der 1930er Jahren vor den Gefahren der Ehe mit einer schönen Frau. Und dieses Motiv, verstärkt um den Faktor Altersunterschied, war vordergründig Hauptgegenstand des Romans, aus dem der musikbegeisterte Niederländer Tommy Wieringa, der als Jugendlicher auf den Antillen gelebt hatte, jetzt beim Literarischen Sommer in der Mediothek las.

Maren Jungclaus stellte den Autor vor, und der gab als erstes eine Kostprobe seiner Musikalität. Mit einer Stimme, die unweigerlich an Leonard Cohen erinnerte und selbst diesen noch hätte neidisch machen können, rezitierte Wieringa in niederländischer Sprache seine "Beatnik glorie", den vermutlich elegantesten Rap aller Zeiten.

Dann gab Jungclaus das Stichwort für den Sprung in den Roman "Eine schöne junge Frau", und Wieringa las vor, wie Edward einem befreundeten Paar von den ersten Begegnungen mit seiner Frau Ruth erzählte. Dabei spielte ihr liebreizendes Hinterteil eine zentrale Rolle für ihn, während sie sich vor allem von seiner originell-dreisten Eroberungsstrategie beeindruckt zeigte. Sie erhörte ihn, und war die Welt vorher noch voller Frauen gewesen, so gab es für ihn jetzt nur noch eine. "Ich habe nur die Schönheit gesehen, nicht das Alter", sagte Edward.

Auch die romantisch auf dem Land arrangierte Hochzeit durften die Zuhörer miterleben. Die Passage aber, die dem Autor selbst die gelungenste scheint, ließ er an diesem Abend nicht hören. Er empfahl stattdessen den Kauf des Buches und balancierte eine Weile an der Ekelgrenze entlang, indem er plastisch die Arbeit des Virologen Edward mit Tierkadavern und in Tierversuchen schilderte, über die das Paar öfter in Streit geriet. Ruth war überzeugte Vegetarierin.

Im Folgenden musste der erfolgreiche Naturwissenschaftler, der in der Erforschung von Aids und der Vogelgrippe Karriere gemacht hatte, nicht nur seine Defizite als zu alter Mann für eine zu junge Frau erfahren, sondern auch den Einsturz seines beruflichen Selbstbildes durchleben. Der Begriff "Hühnerleid", von ihm zunächst achtlos in einer Antwort an die ethisch viel bewusstere, kapitalismus- und globalisierungskritisch eingestellte Ruth hingeworfen, wurde zum Aufhänger selbstkritischer Reflexion und zum Auslöser beruflichen Niedergangs.

Im Gespräch mit Jungclaus stellte Wieringa denn auch weniger die Problematik des ungleichen Paares, als vielmehr die Fragestellung in den Vordergrund, ob Tiere nicht nur Schmerz empfinden, sondern unter den Bedingungen der Massenhaltung und der Laborversuche regelrecht Leid durchleben.

Und Tommy Wieringa vertrat in diesem Gespräch die These, dass die Literatur - überrollt von den "neuen" Medien - ihr Potenzial als Lehrerin und Schärferin des Bewusstseins beim Leser immer mehr einbüße. Die Reaktion des Publikums im Saal stützte diese Annahme zum Glück nicht.

(RP)
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