Krefeld Ein königliches Vergnügen

Krefeld · Der Theaterball stand unter dem Motto "Königlich!" - und mehr als 1000 Menschen kamen zu einem königlichen Vergnügen.

Das Schöne an Theaterbällen ist, dass Nebensachen Hauptsache werden dürfen. Sophie Witte hat nach ihrer "Je suis Titania"-Arie, bei der sie ihre Stimme bis in die Stratosphäre hochgeschraubt hat, im Abgang, als sie fast schon nicht mehr zu sehen war, einen Handkuss in den Saal gehaucht. Ein magischer Moment: Erst jetzt war der Ball wirklich eröffnet. Es war wieder soweit: Hier flirtete ein Theaterensemble mit dem Publikum; voller Heiterkeit, augenzwinkernd, kreativ, dabei Delikatesse und Qualität wahrend. Mehr als 1000 Menschen waren dabei: rund 400, die das Programm mit Essen gebucht hatten, und gut 600 Flaneure.

Dabei hat das Krefelder Theater in Intendant Michael Grosse den weltbesten Theaterballeröffner, der Charme und Esprit mit einer so kultivierten Stimme vereint, dass man stets denkt: Nun komm, leg noch 50 Verse "Faust" drauf. Fast zu schade, dass er sich bei dieser Gelegenheit auf Gruß und Dank - vor allem an die Stadtwerke als Sponsor, ohne die der Ball nicht stattfinden würde - zu beschränken hat.

Das Eröffnungskonzert versammelte einen Strauß an Stilen und Genres; Musical, Oper, Operette; Donizetti, Ambroise, Lehar, Robert Stolz und Johann Strauß: ein herrlicher Bauchladen aus Vergnüglichkeit. Neu war der Leiter der bestens aufgelegten Niederrheinischen Sinfoniker, Kapellmeister Diego Martin-Etxebarria - und was für ein Kapellmeister: Sieht blendend aus und könnte glatt in jeder Oper den Heldentenor übernehmen. Am Stehpult machte er auch musikalisch eine glänzende Figur. Die Ouvertüre aus Donizettis "Roberto Devereux" war präzise und voller Tempo umgesetzt.

Das Publikum reagierte besonders euphorisch, als Gabriela Kuhn und Andrew Nolen "Shall we dance" aus dem Musical "The King and I" boten - wobei Gabriela Kuhn ein atemberaubendes rot-goldenes Brokatkleid trug, das akkurat zur Pracht der vier Leuchter über der Bühne passte. Glanz und schöner Schein sind eben - das sei allen Verächtern von schönem Schein entgegengeschleudert - doch schön. Für Begeisterung sorgte auch die vom Ballett begleitete Polka "Leichtes Blut" von Johann Strauß. Immer wieder verblüffend: Wenn Opernstimmen sich Popsongs anverwandeln. Beim Theaterball bildeten The King's and Queen's Singers den Auftakt: Sechs Krefelder Opernstimmen sangen a capella Songs von Randy Newman, Billy Joel und den Beatles - und es machte Spaß, "Can't buy me love" bis an den Rand der Unkenntlichkeit veroperisiert zu hören. Irgendwie erinnert so jeder Song an irische Volkslieder oder das Musical "Oklahoma". Jedenfalls: Danach versteht man die Wucht von Popsongs besser. Und liebt die Oper etwas mehr.

Köstlich und eine Augenweide waren auch die Killer Queens in der Mediothek: Esther Keil, Denise Matthey und Helen Wendt boten als Kleopatra, Queen Elizabeth (die I., die Tochter von Heinrich VIII.) und Maria Theresia (Marie Antoinette kann es kaum gewesen sein; die war eine gekillte Queen) Hits von Queen: Eine köstliche Parodie, in der Kostümierung hinreißend (die Krefelder Elizabeth sah echter aus, als die echte je ausgesehen haben kann) - und musikalisch auch in der Opernversion noch mitreißend. Wieder gilt: Danach verehrte man Freddie Mercury noch etwas mehr.

Nicht unerwähnt bleiben dürfen das Jochen Hartmann-Hilters Swing Orchestra sowie Sabine Murza & Band, die die Musik zum Tanz in erfreulicher Qualität besorgten - es war klasse, dem Swing-Orchestra zuzuhören; erlaubt sei eine Anmerkung: "Just a gigolo" darf man nicht hektisch nehmen; das Lied muss klingen, als hinge die Welt erschöpft in den Seilen. Basta.

Mindestens so schön wie tanzen ist es, Tanzenden zuzuschauen: Allein die Garderobe! Was die Männer angeht, setzte sich ein Eindruck am Rande fest: Meine Herren, lasst uns mehr Gehrock tragen! Ist einfach eleganter. Immer wieder schön ist es, älteren Semestern zuzusehen, denen es glückt, die Hektik mancher Musik hinter sich lassen und lässig über die Tanzfläche zu grooven, als sei die Welt eine Hängematte. Nix Alter. Lauter Leben.

Die Mitternachtsshow galt Rio Reiser, dem Theaterknüller der Saison: Adrian Linke war wie ein Wiedergänger des Liedermachers, der sich vom naiv-linken Agitprop-Barden mit fahrlässigem Hang zu Gewalt-Rhetorik zum hinreißenden Liebeslieddichter ("ich regne und ich schein' für dich") und Veralberer der Macht ("Wenn ich König von Deutschland wär") gewandelt hat. Gestorben mit 46 - zu früh. Mehrfach versuchte das Publikum, klatschend ins Liedgut einzusteigen - recht gelungen ist es nicht. Reisers Musik ist dazu zu sperrig. Begeistert gefeiert wurden Adrian Linke und sein Ensemble dennoch - es war der Auftakt zu einer langen Ballnacht.

(RP)
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