Krefeld Entdeckung: Altartafel ist 1700 Jahre alt

Krefeld · Eine jetzt aufgetauchte Urkunde belegt, dass ein Stein aus dem Hochaltarsockel von St. Cyriakus aus den römischen Callixtus-Katakomben stammt - also aus dem 1. bis 3. Jahrhundert. Das ist eine sensationelle Entdeckung.

 Pfarrer Paul Jansen (l.) und Hans-Dieter Klose zeigen die Tafel aus der Frühzeit des Christentums im Sockel-Triptychon: Links ist Abraham dargestellt, der seinen Sohn Gott opfern will, rechts die Manna-Speisung in der Wüste.

Pfarrer Paul Jansen (l.) und Hans-Dieter Klose zeigen die Tafel aus der Frühzeit des Christentums im Sockel-Triptychon: Links ist Abraham dargestellt, der seinen Sohn Gott opfern will, rechts die Manna-Speisung in der Wüste.

Foto: RP-Fotos Thomas Lammertz

Seit 135 Jahren ist die lateinische Inschrift das Herzstück im Sockel des Hochaltars von St. Cyriakus. Dass diese Tafel der älteste Stein ist, der in einer Krefelder Kirche verbaut ist, hat bislang niemand gewusst. Schon gar nicht, dass sie ein archäologischer Schatz aus dem 1. bis 3. Jahrhundert ist - also mehr als 1700 Jahre alt.

Die Sensation hat jetzt Hans-Dieter Klose ans Licht gebracht, ehemaliger Lateinlehrer am Arndt-Gymnasium, der auch Griechisch, Archäologie und Geschichte studiert hat. An ihn wandte sich Gottfried Andree, Vorsitzender des Hülser Heimatvereins, weil er im Nachlass des Hülser Heimatforschers Werner Mellen auf eine Urkunde vom 20. September 1864 gestoßen war. Den lateinischen Text sollte Klose übersetzen. Und der staunte nicht schlecht, als er verstand, was er da mit Siegel und Kardinalswappen von Constantinus Patricius in Händen hielt: eine Schenkungsurkunde aus Rom über diesen "Stein aus weißem Marmor".

 Die Inschrift des Steins hat Hans-Dieter Klose so übersetzt und ergänzt: "Ein Stein, (der) vom Friedhof von St. Callixtus entnommen (wurde, und zwar) am 8. Tag (nach dem Fest) der Sel. Jungfrau Maria, im Jahr 1864 - im 19. Jahr des Hl. Prinzipats unseres Herrn Papstes Pius IX."

Die Inschrift des Steins hat Hans-Dieter Klose so übersetzt und ergänzt: "Ein Stein, (der) vom Friedhof von St. Callixtus entnommen (wurde, und zwar) am 8. Tag (nach dem Fest) der Sel. Jungfrau Maria, im Jahr 1864 - im 19. Jahr des Hl. Prinzipats unseres Herrn Papstes Pius IX."

Foto: HDK

Ein Felix Canonicus Profili, seines Zeichens Geheimsekretär der Kommission für Christliche Archäologie, bezeugt darin, dass diese Tafel im Auftrag des Kardinals und im Namen von Papst Pius IX. vom "Friedhof von St. Callixtus" entnommen wurde. Es handele sich um einen "lapis auspicalis" - einen segensreichen Weihestein - für die neue Kirche, ein Geschenk für den "bewundernswerten hochwürdigen Herrn Gerhard Drießen, Pfarrer der Diözese Münster", der den Bau in Hüls plante.

Paul Jansen, seit 29 Jahren Pfarrer an St. Cyriakus kennt erste Belege für den Abriss der alten und den Bau einer neuen Hülser Pfarrkirche aus dem Jahr 1865. Weihnachten 1870 wurde die Kirche in Betrieb genommen, aber wegen des Kulturkriegs erst 1875 geweiht worden. Der Hochaltar stammt von 1882. Pfarrer Drießen hat den Bau nicht mehr erlebt, er starb zuvor. "Damals gehörte Hüls zum Bistum Münster, aber welche Verbindungen es zwischen Drießen, Münster und Rom gab, das ist noch zu erforschen", sagt Andree. Pfarrer Jansen vermutet, das immense Wachstum der Hülser Gemeinde könne in Rom aufgefallen sein: "Um 1500 hatte Hüls 1800 Einwohner, im Jahr 1863 bereits 6000 - und alle gingen in die Kirche. Die Gottesdienste wurden im Stundentakt gefeiert. Aber weil es so eng in der kleinen Kirche war, fielen die Leute reihenweise um. Deshalb wurde die neue Kirche geplant." Durch welche Hände die Urkunde seit 1864 ging und wie sie zu Mellens Papieren kam, ist ebenfalls unklar.

Aber nicht minder geheimnisvoll ist die Geschichte um den Stein. "Als ich las, dass der Friedhof rechts der Via Appia lag, war klar, dass die Callixtus-Katakomben gemeint sind", erklärt Historiker Klose. "Aber in keinen Archivalien taucht ein Hinweis auf." Und auch die historisch verbrieften Fakten sind dünn: Callixtus (oft auch nur mit einem "l" geschrieben) ist vermutlich um 160 geboren. Von 217 bis 222 war er Bischof von Rom - in der Amtszeit der Kaiser Elagobal und Severus Alexander. Im Jahr 222 ist er möglicherweise als Märtyrer bei einem Volksaufstand gestorben. In der Kunst wird er oft in roter Robe dargestellt, häufig auch mit einem Mühlstein um den Hals. Er hat in seiner kurzen Amtszeit den General-Ablass eingeführt, die Vergebung aller bereuten Sünden. Und er hat die nach ihm benannten Callixtus-Katakomben verwaltet und erweitert: Diese erste christliche Grabanlage ist ein fast 20 Kilometer langes unterirdisches System aus Gängen, Kammern und Schächten. Geschätzte 370.000 Gräber sind auf mehrere Etagen verteilt: Papst Urban I. wurde dort 235 beigesetzt, ebenfalls 15 weitere Päpste und 100 Märtyrer. Im Jahr 1852 bildete sich die Päpstliche Kommission für Christliche Archäologie, die sich um die Betreuung und Erforschung der Anlage kümmert - und zwölf Jahre später den Hülsern das kostbare Geschenk übermittelte.

Die Tafel im Cyriakus-Altar ist als Herzstück in ein Triptychon eingelassen. Unter neugotischen Rundbögen blicken zwei Engel, die an Raffaels berühmte Engel in der Sixtinischen Kapelle erinnern, auf die Marmortafel. Gerahmt wird sie von zwei Sandstein-Reliefs. Das linke zeigt Abraham, der als Beweis seiner Gottestreue seinen Sohn opfern will. Die rechte Szene zeigt, wie die Israeliten auf ihrer Wanderschaft durch die Wüste mit dem Himmelsbrot Manna gespeist werden.

Druckfrisch ist eine Dissertation der Kölner Kunsthistorikerin Helga Becker über Anton Josef Reiss, der den Hochaltar gestaltete, erschienen. Mit der Wiederentdeckung der Tafel ist die Forschung jetzt bereits einen Schritt weiter.

(RP)
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