Krefeld Erinnerung an die erste Hausbesetzung

Krefeld · Der Rio-Reiser-Abend im Theater erzählt von Anarchie und Häuserkampf. In Krefeld wurden 1981 die ersten Häuser besetzt: zwei leerstehende städtische Gebäude, in denen zuvor das chemische Untersuchungsamt beheimatet war.

 Die Gebäude 97 und 99 an der Steinstraße waren im Juni 1981 die ersten Häuser in Krefeld, die besetzt wurden. Die Häuser hatten zwei Jahre leergestanden, nachdem das chemische Untersuchungsamt ausgezogen war.

Die Gebäude 97 und 99 an der Steinstraße waren im Juni 1981 die ersten Häuser in Krefeld, die besetzt wurden. Die Häuser hatten zwei Jahre leergestanden, nachdem das chemische Untersuchungsamt ausgezogen war.

Foto: Thomas Lammertz

Der Geist der Rebellion schlummert tief in der niederrheinischen Seele. Das verkapselte Geschwür des Widerstands bricht auf, sobald es mit Musik in Kontakt kommt: Musik gewordene Kampfparolen wie "Macht kaputt, was euch kaputt macht" wie sie die Band Ton Steine Scherben gegen die Gesellschaft und Politik der 1970er Jahre donnerte, fallen hier auf fruchtbaren Boden. In Heiner Kondschaks biografischer Revue über Rio Reiser und seiner Band jubelte das Publikum, ließ Feuerzeuge im Parkett aufleuchten und klopfte den Takt zu "Mach 'ne Faust aus deiner Hand. Keine Macht für Niemand!". An den Anfang des Häuserkampfes in Krefeld erinnert das Theater in seinem Programmheft mit einem Text des Krefelder Journalisten Egon Traxler.

 Adrian Linke verkörpert Rio Reiser auf der Theaterbühne.

Adrian Linke verkörpert Rio Reiser auf der Theaterbühne.

Foto: M. Stutte

Die Aktion ereignet sich am frühen Abend des 5. Juni 1981. Das Ziel sind die Häuser Nummer 97 und 99 an der Steinstraße. Dort hatte das chemische Untersuchungsamt seinen Sitz, doch seit rund zwei Jahren nun stehen die Gebäude, die der Stadt gehören, leer. Traxler erinnert sich in seinem Text, wie 30 Männer und Frauen Säcke, Eimer und Kleinmöbel ins Haus tragen, an dessen Tür "Freddy vom Schlüsseldienst" das Schloss geknackt hat. An den Balkonen werden Transparente angebracht mit den Parolen des Häuserkampfes wie "Wohnungen statt Raketen".

Bei den Krefeldern stößt die Aktion überwiegend auf Sympathie. Hunderte unterzeichnen die Unterschriftenliste, spenden Lebensmittel für die Besetzer. Die informieren die Nachbarn per Flugblatt, dass das leere Gebäude in einwandfreiem, bewohnbarem Zustand sei: 33 Räume auf fast 500 Quadratmetern. Die Polizei wird alarmiert, doch unternimmt nichts. "Die schickt zwar einen Streifenwagen, der aber nach erstem Augenschein wieder abdreht. Infam finden das Teile der Lokalpresse. Denn es war der Freitag vor Pfingsten. Der Flachsmarkt war für die Polizei Hauptkampflinie und nicht die Steinstraße. Das hätten die Besetzer ganz bewusst genutzt", schreibt Traxler.

Verwaltung und Politik aber müssen reagieren. Sie erklären, dass im Herbst des Jahres an dieser Stelle eine neue Turnhalle für das Arndt-Gymnasium gebaut werden und dafür Häuser an der Steinstraße weichen sollen. Ein Trick, schreibt Traxler und verweist auf die Chronik des Arndt. Danach ist die neue Turnhalle im Jahr 2000 fertig geworden - und nicht an jener Stelle.

Mann der Stunde ist damals der junge SPD-Ratsherr Dieter Backerra, der zur Verhandlung mit den Hausbesetzern geschickt wird. Erfolg hat er nicht. Am 11. Juni endet die Hausbesetzung mit der Räumung durch die Polizei. Fenster und Türen der Häuser werden zugemauert. Heute sind die Häuser wieder bewohnt.

In Krefeld ist der Häuserkampf spät angekommen. Die Hausbesetzungen beginnen in Deutschland im September 1970 im Frankfurter Westend. Sie sind Protest gegen Wohnungsmangel und Leerstand sowie hohe Mieten. Propagiertes Ziel ist es, Häuser vor dem Abriss zu bewahren, damit sie wieder bewohnbar gemacht werden. Zu den bekannten besetzten Gebäuden in den 1980er Jahren gehören in Köln die ehemalige Stollwerck-Schokoladenfabrik, die Rote Flora in Hamburg und das Sprengelgelände Hannover.

Die Stimmung der 70er und 80er Jahre bettet "Rio Reiser - König von Deutschland" ein in viel Musik und Zeitkolorit. Die Vorstellungen im Krefelder Theater sind bis Mitte Juli angesetzt. Nächster Termin: Freitag, 23. Dezember, 19.30 Uhr. Kartenreservierung: Telefon 02151 805125.

(RP)
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