Ermittlungen gegen Sektenarzt Krefelder Staatsanwalt ermittelt in Chile

Krefeld · Bei einer siebentägigen Reise nach Chile mit einer hochkarätigen deutschen Delegation hat Oberstaatsanwalt Axel Stahl wichtige Eindrücke über den Stand der Ermittlungen gegen den Sektenarzt der Colonia Dignidad gewonnen.

 Der ehemalige Sektenarzt Hartmut Hopp (Archiv).

Der ehemalige Sektenarzt Hartmut Hopp (Archiv).

Foto: samla

Die Ermittlungen der Krefelder Staatsanwaltschaft gegen den ehemaligen Arzt der berüchtigten Colonia-Dignidad-Sekte sind durch eine siebentägige Reise nach Chile einen wichtigen Schritt vorangekommen. Dies berichtet Oberstaatsanwalt Axel Stahl, der als stellvertretender Behördenleiter Mitglied einer hochkarätig besetzten deutschen Delegation war, am Donnerstag auf Anfrage unserer Redaktion.

Für ihn war es eine ebenso fruchtbare wie bewegende Dienstreise. Er hat auch mit ehemaligen Bewohnern der Kolonie gesprochen. "Ich habe mit einem Zeugen und dessen Ehefrau reden können. Sie haben ihr, man muss es so sagen, Martyrium geschildert." Sektengründer Paul Schäfer und seine Führungskräfte hätten dort ein "zutiefst menschenfeindliches und menschenverachtendes System" etabliert, resümiert Stahl.

Zur deutschen Delegation gehörten Vertreter des Landes- und des Bundesjustiziministeriums sowie des Auswärtigen Amtes. Für die Krefelder Staatsanwaltschaft ging es darum, eigene Ermittlungen im Fall Hartmut Hopp voranzutreiben. Hopp war bekanntlich in Chile wegen Beihilfe zu sexuellem Missbrauch als Arzt der Sekte zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Hopp setzte sich 2011 aus Chile nach Krefeld ab; die chilenische Justiz beantragte daraufhin im Jahr 2015, dass die Strafe in Deutschland vollstreckt wird. Oberstaatsanwalt Stahl hatte dies nach eingehender Prüfung unterstützt und gegenüber dem Krefelder Landgericht die Vollstreckung beantragt. Das Landgericht gab dem statt; die Sache liegt jetzt zur Entscheidung beim Oberlandesgericht.

Schon bei Hopps Rückkehr nach Deutschland 2011 hatte die Krefelder Staatsanwaltschaft begonnen, selbst gegen den Arzt zu ermitteln. Die Verdachtsmomente: Beihilfe zu sexuellem Missbrauch, Beihilfe zur Tötung von drei chilenischen Oppositionellen in den 70er Jahren und missbräuchlicher Einsatz von Psychopharmaka in Hopps Zeit als Sektenarzt. Auch wenn Hopp die in Chile verhängte Strafe in Deutschland verbüßen muss, erledigen sich die beiden anderen Vorwürfe nicht. Stahl hatte nun reichlich Gelegenheit, sich mit chilenischen Kollegen über deren Ermittlungen auszutauschen. "Die Reise war ausgesprochen fruchtbar", resümiert er nun; die Gespräche hätten "absolut auf Augenhöhe stattgefunden".

Stahl zeigte sich beeindruckt von den Chilenen; es seien "sehr kompetente Kollegen" gewesen. Art und Qualität der Ermittlungen seien nach Professionalität und Rechtsstaatlichkeit europäischen Standards absolut vergleichbar. Man habe sich in offener Art und Weise in einer sehr konstruktiven Atmosphäre ausgetauscht. "Der Aufwand", sagt Stahl, "hat sich absolut gelohnt." Mit Blick darauf, dass er den Antrag auf Haftvollstreckung für das Landgericht formuliert habe, sehe er sich bestärkt darin, dass er richtig gelegen habe. Stahl musste damals einschätzen, ob das chilenische Verfahren deutschen Verfahrens- und Rechtsstandards entspricht.

In Chile hat Stahl unter anderem mit zwei Ermittlungsrichtern reden können, die seit langem gegen Hopp im Einsatz sind. Zu den bewegenden und erschütternden Begegnungen gehörte für den Krefelder Oberstaatsanwalt das Gespräch mit einem Zeugen, der mit Anfang 20 in der Colonia Dignidad gelebt und vom Leben dort berichtet hat. Bewegend sei auch die Begegnung mit einem archäologischen Forensiker gewesen, der auf dem Gelände der Colonia auf der Suche nach menschlichen Überresten war. Man könne mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen, dass auf dem 300 Quadratkilometer großen Kolonie-Gebiet Massengräber mit Opfern der Pinochet-Diktatur sind. Hintergrund: Die Colonia Dignidad soll während der Pinochet-Diktatur (1973-1990) Folterzentrum des Geheimdienstes gewesen sein. Die Massengräber sollen vor allem in den 70er Jahren entstanden sein.

Hopp ist in Chile wegen Beihilfe zu sexuellem Missbrauch von Kindern verurteilt worden. Missbraucht worden sind die Kinder durch den Gründer der Colonia Dignidad, Paul Schäfer. Schäfer, Jahrgang 1921, ist 1961 mit rund 200 Getreuen von Deutschland nach Chile ausgewandert, besser: geflohen, denn er war schon in Deutschland in Verdacht geraten, Kinder zu missbrauchen. Hopp ging als 17-Jähriger mit ihm und wurde der Arzt der Colonia.

Als sich Pinochets Militärdiktatur dem Ende zuneigte, geriet die Sekte unter den Druck der demokratisch gewandelten Justiz. Auch Hopp wurde angeklagt. Er machte stets geltend, von Schäfers Verbrechen erst nach dem Ende der Colonia Dignidad erfahren zu haben. Schäfer wurde 2006 zu 33 Jahren Haft verurteilt und starb 2010.

Stahl wird jetzt die Ergebnisse der Reise auswerten und prüfen, ob Anklage gegen Hopp zu erheben ist.

(RP)
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