Krefeld Fulminanter Maskenball im Weißen Haus

Krefeld · Von Schweden nach Amerika, vom 17. Jahrhundert ins Oval Office von John F. Kennedy: Regisseur Andreas Baesler liefert eine fesselnde Inszenierung der Verdi-Oper "Ein Maskenball" - gespickt mit hochkarätiger Musik.

 Dramatische Szene im ehelichen Schlafzimmer. Renato (Johannes Schwärsky) will aus Eifersucht seine Frau Amelia (Izabela Matula) töten.

Dramatische Szene im ehelichen Schlafzimmer. Renato (Johannes Schwärsky) will aus Eifersucht seine Frau Amelia (Izabela Matula) töten.

Foto: Matthias Stutte

Glück und Katastrophe liegen in der Oper dicht bei einander - mitunter dichter als den Akteuren lieb sein kann. So ist das Gemeinschaftstheater in der glücklichen Situation, Giuseppe Verdis Oper "Ein Maskenball" komplett aus eigenen Reihen zu besetzen - die Hauptrolle des Riccardo sogar doppelt. Und dann schlägt die Krankheitswelle zu: Beide Tenöre fallen aus. Doch die Premiere geriet nicht zur Katastrophe, denn das Theater hatte Fortune: Timothy Richards sprang so kurzfristig ein, dass er sogar die Generalprobe verpasste. Generalintendant Michael Grosse bat um Nachsicht, dass im Bühnenbild Details wie ein Porträt Riccardos nicht mehr ausgetauscht werden konnten.

Das Publikum musste kein Auge zudrücken, nur die Ohren aufsperren, um einen gelungenen Abend zu erleben, der mit langem Beifall gefeiert wurde.

Die Geschichte vom Regierungschef, der heimlich die Frau seines besten Freundes liebt und durch ein Missverständnis (ein vermeintlicher Seitensprung) von diesem ermordet wird, ist zu Verdis Zeiten von der Zensur in Neapel und Rom so verbogen worden, dass die Handlung an vielen Stellen holpert. Doch die Musik reißt alles raus. Regisseur Andreas Baesler hat eine Parallele zu John F. Kennedy gezeichnet: Riccardo ist ein smarter, geheimnisvoller Frauenheld. Passt! Das Oval Office, das Hermann Feuchter nachgebaut hat, ist als Halbrund auch Kulisse für das Schlafzimmer von Renato und Amelia, für die Séancen der Wahrsagerin Ulrica und letztlich für den Ballsaal, in dem Ricardo zwischen verkleideten Mickey- und Minniemäusen niedergeschossen wird.

Baesler lässt Raum, spielt mit Details, die zu entschlüsseln Freude macht - vom Pillbox-Hütchen, das an Mode-Ikone Jackie Kennedy erinnert, bis zur exotisch geschminkten Hohepriesterin der Santería, der afroamerikanischen Hauptreligion Kubas. Die Kostüme hat Caroline Dohmen entworfen. Es ist ihre erste Arbeit am Haus. Nicht alles geht auf, das ist die Tücke des Librettos. Den Galgenberg übersetzt Baesler als Todeszimmer mit Elektrischem Stuhl. Man wundert sich nicht lange, wie Amelia hierhin gekommen ist, warum sie sich ohne weiteres am Giftfläschchen-Schrank bedienen kann, und weshalb auch Riccardo hier auftaucht. Denn in dieser sterilen, düsteren Umgebung gehen Izabela Matula (Amelia) und Timothy Richards (Riccardo) tief bewegend durch alle Aggregatzustände der Liebe - vom sachten Sich-Eingestehen der Gefühle über helle Hoffnung, Leidenschaft, aufsteigende Angst zur Verzweiflung. "Teco io sto" ("Ich bin bei dir") ist das längste, aber auch vielschichtigste Liebesduett Verdis. Die Niederrheinischen Sinfoniker, die unter dem Dirigat von Mihkel Kütson alle dynamischen Farben ausspielen, lassen dazu die "düsteren Stürme des Todes" aufziehen. Mit verschwörerischen Streicher-Pizzicati, knallenden Schlägen und hymnisch ausladenden Melodiewogen beweisen sie hohe Qualität.

Richards ist ein eleganter Mr. President, der sich - wie während seines Engagements in Krefeld/Mönchengladbach vor zehn Jahren - als Könner des italienischen Fachs beweist. Sein samtiger Tenor und seine Bühnenpräsenz (die er auch mit Textbuch hat) brachten den Waliser in die Top-Riege europäischer Tenöre. Zurzeit gehört er zum Ensemble der Komischen Oper Berlin. Izabela Matula ist zur großen Sopran-Tragödin gereift, die die Liebessehnsucht und den Schmerz einer Mutter, die ein letztes Mal ihren Sohn sehen will, bevor sie stirbt, in anrührende Töne kleidet. Bariton Johannes Schwärsky hat in Renato, der verlorener Zärtlichkeit und zerstörter Lebenshoffnung nachtrauert, seine Paraderolle: Von dunkler Melancholie bis zu schneideneder Wut zeigt er die gesamte Bandbreite.

Viel Applaus gab es auch für Sophie Witte als kokett kolorierendes Präsidenten-Gspusi Miss Oscar und Eva Maria Günschmann, die die undurchsichtige Wahrsagerin in schönstem Mezzosopran schillern lässt. In kleineren Rollen überzeugten Shinyoung Yeo, Andrew Nolen, Hayk Dèinyan und Xianghu Alexander Liu - sowie der wie immer gut aufgestellte Theaterchor.

Weitere Vorstellungen: 21. Januar, 19. Februar, 21. März, 30. April, 12. u. 24. Mai, 29. Juni; Karten: 02151 805125.

(RP)
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