Krefeld Insektenschwund: Berichte bis nach China

Krefeld · Washington Post, CNN, Guardian, China Post: Die Arbeit der Krefelder Entomologen über Insektenschwund in Deutschland hat weltweit für Aufsehen gesorgt. Sie konnten die Presseanfragen nicht alle bewältigen.

 Heinz Schwan vom Entomologischen Verein mit Sitz in Krefeld bestimmt hier Biomassen. Die Kurve zeigt den Rückgang der Biomasse seit 1990.

Heinz Schwan vom Entomologischen Verein mit Sitz in Krefeld bestimmt hier Biomassen. Die Kurve zeigt den Rückgang der Biomasse seit 1990.

Foto: Martin Sorg

Die jüngste Publikation der Krefelder Entomologen zusammen mit Wissenschaftlern der Universitäten Radboud (Nijmegen) und Sussex sprengt Rekorde in der weltweiten Wahrnehmung. Die Veröffentlichung hat auch im Ausland politische Forderungen über eine grundlegende Neuausrichtung der Naturschutz- und Agrarpolitik geweckt.

Werner Stenmans vom Entomologischen Verein berichtet über den Zusammenbruch von Mailboxen und Weiterleitungen von Telefonnummern. Anfragen von Presse, Rundfunk und Fernsehen konnten gar nicht alle bedient werden. Fotografen der New York Times wollten die Insektensammlungen, Filmteams bis hin zu CNN die Schauplätze der Untersuchungen begutachten.

Hintergrund: Die Untersuchungen haben ergeben, dass seit 1989 die Gesamtbiomasse der fliegenden Insekten an 63 Standorten in Schutzgebieten um mehr als 75 Prozent abgenommen hat. Neben allen großen deutschen Zeitungen und internationalen Blättern wie Washington Post, Guardian, China Post, Science, Nature, Corriere Della Sera, Taipei Times bis zum Honolulu Star haben Hunderte Print- und Online-Medien über diese Ergebnisse berichtet.

Martin Sorg vom Entomologischen Verein erklärt sich die Wucht dieser Reaktionen damit, dass es auch international sehr selten sei, dass ein Datensatz über 96 Einzeluntersuchungen mit einem Volumen von mehr als 1500 Probenahmen veröffentlicht werde, der in der Analyse solche Zeitspannen vergleiche. Während der letzten drei Jahrzehnte haben 28 Institutionen, darunter Universitäten, Stiftungen bis hin zu Unteren Landschaftsbehörden die Untersuchungen der Entomologen gefördert, darunter auch die Stadt Krefeld.

Die Auswertung ist in der wissenschaftlichen Online-Fachzeitschrift "PLOS ONE" veröffentlicht worden und belegt auch dort mit 375.000 Seitenaufrufen seit dem 18. Oktober die enorme Resonanz. In den Kreisen führender Wissenschaftler ist die Arbeit unumstritten. Prof. Dr. Teja Tscharntke, Leiter der Abteilung Agrarökologie, Georg-August-Universität Göttingen, erklärt etwa: "Die Auswertung und die Resultate hinterlassen einen soliden, überzeugenden Eindruck."

Prof. Dr. Johannes Steidle, Fachgebietsleiter Tierökologie, Institut für Zoologie, Universität Hohenheim, urteilt, die Arbeit sei methodisch sauber, die Ergebnisse schockierend, denn sie zeigten flächendeckend für eine große geografische Region Mitteleuropas einen massiven Biomasserückgang für Insekten. "Wir befinden uns mitten in einem Albtraum, da Insekten eine zentrale Rolle für das Funktionieren unserer Ökosysteme spielen." Steidle betont weiter, die Arbeit zeige die Bedeutung von Langzeitstudien in der Ökologie, die von der praktizierten Forschungsförderung nicht berücksichtigt werde. "Öffentliche Forschungsinstitutionen können sich solche langfristigen Untersuchungen gar nicht leisten, und Fördergelder für solche Studien sind schwer bis überhaupt nicht zu bekommen."

Die Wissenschaftler mahnen an, die Ursachen für den Rückgang der Insekten anzugehen. Für Prof. Tscharntke ist "die Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion eine plausible Ursache für den dramatischen Rückgang der Insektenbiomasse. Auch die zunehmende Monotonisierung der Agrarlandschaften mit großen Feldern, nur wenigen Feldrändern, Hecken und Gehölzen sowie Brachen und magerem Grünland führten dazu, dass außerhalb der Schutzgebiete kaum noch Nahrungs- und Nistressourcen zur Verfügung stünden.

Alarmierend auch: Die klassischen Naturschutzgebiete können nach Einschätzung von Prof. Tscharntke die Verluste in der Landschaft nicht mehr auffangen. "Der dramatische Insekten-Rückgang zeigt, dass Schutzgebiete in nur noch sehr geringem Maße als Quellhabitate für die Besiedlung der Agrarlandschaften dienen können. Damit ist auch die Aufrechterhaltung wichtiger Dienstleistungen wie der Bestäubung und der biologischen Schädlingskontrolle in der Agrarlandschaft gefährdet."

Prof. Steidle betont auch, dass der Klimawandel sogar zu einer Zunahme der Biomasse hätte führen müssen. So bleibe nur eine Intensivierung der Landwirtschaft als Erklärung übrig: "Es wäre wichtig, zu analysieren, welchen Einfluss dabei der Pestizideinsatz - zum Beispiel Neonicotinoide - auf die landwirtschaftlichen Flächen hat, die die Probenstellen umgeben."

Der 1905 gegründete Entomologische Verein wird in der Fachwelt international als wissenschaftliche Vereinigung geschätzt. Er arbeitet an der Schnittstelle zwischen universitärer Forschung und den aktiven Entomologen vor Ort. Etwa ein Drittel seiner Mitglieder sind selbst ausgebildete, teils promovierte Naturwissenschaftler.

(RP)
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