Krefeld Integration durch Kickboxen

Krefeld · An der Prinz-Ferdinand-Hauptschule lernen Schüler aus Syrien, Afghanistan oder Togo seit September Deutsch. Auf dem Stundenplan steht einmal in der Woche auch Kickboxen. In einer Boxschule kommen sie mit ihren Mitschülern in Kontakt und üben sich in Disziplin.

 Raman (16) ist aus Syrien nach Deutschland geflohen. Seit September lernt er in der Prinz-Ferdinand-Hauptschule Deutsch - und trainiert fleißig Kickboxen.

Raman (16) ist aus Syrien nach Deutschland geflohen. Seit September lernt er in der Prinz-Ferdinand-Hauptschule Deutsch - und trainiert fleißig Kickboxen.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Raman trägt ein buntes T-Shirt und eine Mütze, Schweiß klebt ihm auf der Stirn. Die Mütze auf seinem Kopf schiebt er immer wieder hoch, damit ein wenig Luft an seine Haare kommt. Er reicht zur Begrüßung die Hand, grüßt freundlich, lächelt und sagt: "Ich bin Raman." Dann buchstabiert er seinen Namen zur Sicherheit noch einmal: R-a-m-a-n. Ruckelfrei, ohne Probleme, ohne Pause. Eigentlich will er gar nicht lange erzählen, aber er möchte nicht unhöflich sein. Also wartet er ein, zwei Fragen ab. Dann lacht er wieder und geht. Er muss weiter trainieren.

 Während alle anderen Liegestütze machen müssen, springt einer über seine Mitschüler. Wenn der fertig ist, ist der nächste dran. Das Kickbox-Training von Farouk Ajagbe (Mitte, hinten) ist anstrengend.

Während alle anderen Liegestütze machen müssen, springt einer über seine Mitschüler. Wenn der fertig ist, ist der nächste dran. Das Kickbox-Training von Farouk Ajagbe (Mitte, hinten) ist anstrengend.

Foto: Thomas Lammertz

Raman ist 16 Jahre alt und erst im September in Deutschland angekommen. Aus Syrien ist er - "kurdisch", ergänzt Raman zweimal. Der junge, schmächtig wirkende Mann besucht die Prinz-Ferdinand-Hauptschule; er ist in der Seiteneinsteigerklasse. Für die Bürokratie ist Raman also ein Seiteneinsteiger. Das klingt nach zweitem Bildungsweg, nach einer Entscheidung für eine Option. Raman hat allerdings sein Leben riskiert, um Seiteneinsteiger zu werden. Um Deutsch zu lernen, bei Georg Niedermüller, seinem Klassenlehrer. "Ein toller Mann", sagt Raman.

Schulleiterin Angelika Brünsing hat sich für die Seiteneinsteigerklasse von Raman etwas ausgedacht. Zusammen mit den Regelschülern, also den Nicht-Flüchtlingen, geht es einmal die Woche bis zu den Sommerferien in die Boxschule. Farouk Ajagbe trainiert die gut 18 Jungen dann im Kickboxen. "Hier können sie ihre Aggressionen rauslassen", sagt der 45 Jahre alte Inhaber der Boxschule an der Oelschlägerstraße. Der Sozialdienst katholischer Frauen finanziert das Projekt.

Für Brünsing geht es darum, dass die Flüchtlinge mal mit den anderen Schülern unkompliziert in Kontakt treten können. Beim Kickboxen braucht es nicht viel, um sich sehr nah kennenzulernen. Aber die Leiterin der Prinz-Ferdinand-Hauptschule sagt auch: "Die Schüler sollen ganz diszipliniert diese fernöstliche Kampfsportart erlernen." Kickboxen gehört ganz normal zum Unterricht dazu, eine Doppelstunde in der Woche in der Boxschule. Noten gibt es auch, pro forma, weil die Seiteneinsteiger keine gewöhnlichen Zeugnisse bekommen. "Wir machen hier keine Ausbildung zum Schläger, sondern kontrolliertes, diszipliniertes Training", sagt Angelika Brünsing. Das ist ihr wichtig.

Farouk Ajagbe, der Boxtrainer, stammt ursprünglich aus Nigeria. Dass er 45 Jahre alt sein soll, mag man kaum glauben. Weil er eine ärmellose Jacke trägt, sieht man seine stählernen Muskeln, die er täglich trainiert. Für jede Minute, die seine Schüler zu spät kommen, muss die gesamte Klasse zehn Liegestütz machen. "Pünktlichkeit im Training ist das A und O", sagt Ajagbe. Die Schüler müssen auch alles wieder ordentlich weglegen, die Boxhandschuhe etwa.

Farouk Ajagbe, Rastalocken unter der Schirmmütze, sagt: "Die Verführung da draußen ist groß." Die Gefahr, dass die Schüler in die Kriminalität abdrifteten, stehlen, klauen, "Mist bauen", wie Ajagbe sagt, sei gewaltig. Deswegen sei die Disziplin so wichtig. Wer beim Kickboxen streng zu sich selbst sein kann, der ist es auch außerhalb des Boxstudios - das ist das Kalkül.

Arman ist ein Mitschüler von Raman. Auch er ist 16, auch er ist geflohen, auch er lernt erst seit September Deutsch. Der gebürtige Afghane spricht sechs Sprachen, fließend. Deutsch ist jetzt die siebte Sprache. Er möge doch erzählen, warum ihm das Kickboxen so wichtig ist, warum ihm das Freude bereitet. Wenn ihm die deutschen Worte ausgingen, könne er ruhig Englisch reden. "Englisch?", fragt Arman. "Ich wohne in Deutschland, nicht in Amerika, also spreche ich Deutsch", sagt er.

Auch Arman ist geschwitzt, das Training von Faruk ist anstrengend. Boxen, hüpfen, Liegestütze, rauf und runter, hoch und runter, und wieder von vorne. Austoben können sich die Jungs in dem Raum überschaubarer Größe wirklich. Der Schweißgeruch liegt schon in der Nase, wenn man das Boxstudio durch die Tiefgarage hindurch betritt. Arman erzählt, dass ihm die Gemeinschaft beim Sport gut gefällt. Zusammen mit seinen Freunden was machen und mal rauskommen aus der Schule, aus der Sporthalle.

Bleibt nur noch Georg Niedermüller, der Klassenlehrer, der den Seiteneinsteigern Deutsch beibringt und oft beim Boxtraining dabei ist und seine Jungs beobachtet. Arman ist wie Raman auch voll des Lobes für ihren Lieblingslehrer. Niedermüller lächelt bescheiden, er freut sich natürlich, aber still. Wie er das schafft, Menschen die deutsche Sprache beizubringen, deren Muttersprache soweit entfernt vom Deutschen liegt wie der Nord- vom Südpol? Er redet langsam und wiederholt alles so oft, wie es sein muss. Und: "Ich weiche nicht aus, in keine andere Sprache, auch nicht in Englisch."

(her)
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