Fußballverein Bayer Uerdingen Jo Rüter ist Krefelds größter Fan

Krefeld · Mit elf Jahren hat Jo Rüter das erste Mal ein Spiel von Bayer Uerdingen gesehen - da war es um ihn geschehen. Seitdem versäumt er kein Spiel des Vereins. Wie konnte das passieren? Spaziergang durch die Seelenlandschaft eines Fans.

 Jo Rüter mit seinen Lieblingsfarben: Blau, Rot und Weiß. Sein Herz hängt am KFC Uerdingen. Seit 47 Jahren geht er zu den Spielen seines Vereins.

Jo Rüter mit seinen Lieblingsfarben: Blau, Rot und Weiß. Sein Herz hängt am KFC Uerdingen. Seit 47 Jahren geht er zu den Spielen seines Vereins.

Foto: Klaus Dieker

Es ist einer dieser Sätze, die zeigen: Man kann vom Fußball fürs Leben lernen. Als Jo Rüter über seine beruflichen Erfahrungen als Projektleiter im IT-Bereich plaudert, sagt er irgendwann: "Es wie im Fußball: Du kannst mit einer guten Mannschaft und einer schlechten Taktik gewinnen; umgekehrt aber wird es schwierig."

Rüter ist mathematisch begabt, grundfriedlich veranlagt, ein Freund und Kumpel für alle Seelenjahreszeiten - und Krefelds treuester Fan des KFC Uerdingen, vormals Bayer Uerdingen. Mit elf Jahren hat er das erste Mal ein Fußballspiel gesehen - es wurde eine Liebe fürs Leben. Seit 47 Jahren geht er zu den Spielen dieses Vereins, und wir fragten ihn: Wie konnte das passieren? Wie wird ein Fußballverein zum Hafen fürs Leben?

Ein Klassenkamerad hat ihn überredet, doch mal mitzugehen. "Das Ganze hat mich von der Stimmung her sofort gepackt", erinnert sich Rüter, "es ging gegen Wuppertal, und wir haben 4:1 verloren." Die Fan-Gesänge, die Rituale, das Mitfiebern auf dem Platz, all die massenhaft im Gleichklang geteilten Gefühle von Triumph, Wut, Enttäuschung - der kleine Jo verlor sein Herz an die Grotenburg.

Die Redensart "wie ein Mann" - als Fußballfan erlebt man sie wohl mit sonst nie mehr erreichter Intensität. Vielleicht noch als Musikfan bei Konzerten, nur ohne die Dramatik des Augenblicks, wie sie im Fußball vorherrscht. Die triumphale Kraft eines kollektiven Torjubels versteht nur, wer vorher gelitten, gebangt, gehofft hat. Wonach sich Goethes Faust selbstquälerisch ein Leben lang sehnt - zum Augenblick zu sagen: Verweile doch, du bist so schön - Fußballfans erleben das ein Dutzend Male pro Spiel.

Rüter war infiziert: Zunächst ging er nur zu Heimspielen, dann kam das eine oder andere Auswärtsspiel dazu, irgendwann dann war er bei jedem Spiel dabei, das er erreichen konnte. Bis heute sind es mehr als 1200 Partien.

Als Schüler gehörten zu seinen Berichten vom Wochenende unbedingt die Begegnungen mit den Fans der Anderen, und immer klang es, als würden sich verfeindete Indianerstämme treffen. Es gab viele Kriegspfade, gemütliche wie verflucht ungemütliche.

Rüter erzählt: "Wenn es gegen den Aufsteiger Bonn ging, da waren wir die großen Uerdinger, die mit 1000, 2000 Fans anreisten; da hast du deinen Uerdingen-Schal groß und breit gezeigt. Wenn es gegen Schalke, Dortmund oder Essen ging, hast du deinen Schal schön eng unterm Parka getragen. Gerade gegen Essen hat man sich vorher in die Hose gemacht."

Im übertragenen Sinne, versteht sich. Rüter hatte Glück: Prügel hat er nie bezogen, zweimal war es arg knapp, einmal hat ihn sein Onkel vor Schlimmerem bewahrt: "Lass dä Jung in Ruhe", war der rettende Ruf.

Die Lust des Hooligans auf Gewalt ist nie Jo Rüters Sache gewesen. Allerdings schweißen solche Erlebnisse zusammen: die Fans untereinander und den Fan mit seinem Verein. Dazu kommt, dass der Fußballplatz zum Kontrast des Alltags wird. Rüter ist als Projektleiter darauf gedrillt, Kommunikation zu organisieren und Konflikte gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Gefühle gilt es auf gepflegte Gesprächskultur herabzudimmen. "Auf dem Fußballplatz kann ich dann auch sehr emotional werden", sagt Rüter lächelnd. Man ahnt sofort, was er meint: Gegner ist Gegner, Sieg ist Sieg, Wut ist Wut. Auszeit vom Deeskalieren; das gedimmte Herz darf auf Enterprise-Modus umschalten: Volle Energie, Phaser klar, Schutzschilde hoch - die Klingonen kommen!

Solche Erfahrungen nähren ganz offensichtlich ein magisches Innerstes, die Liebe zu einem Verein, auch dann noch, wenn der Verein seine Glanzzeit lang hinter sich hat und von neuem Ruhm bestenfalls träumt.

Rüter tastet nach Worten, als er gefragt ist, warum man einem solchen Verein treu bleibt, obwohl man zum Beispiel in München einen Weltverein erleben kann - denn in München hat Rüter seit vielen Jahren beruflich zu tun. Erfolg ist eben nicht alles; es ist das starke Gefühl am Beginn eines Weges. "Diese Liebe zu einem Verein erlebst du nur einmal, und du erlebst nur einmal, wie sie dich nicht mehr loslässt."

Der schönste Satz, den Rüter sagt, ist dieser: "Man sagt ja, du suchst dir deinen Verein nicht aus, er wird dir gegeben." Das bedeutet wiederum nicht, dass ein Fan alles unkritisch sieht. "Manches in der neueren Entwicklung des KFC sehe ich sehr sehr skeptisch", sagt Rüter. "Traditionen gehen verloren. Als Trainer Klaus Quinkert, mit dem Uerdingen zum ersten Mal in die Erste Bundesliga aufgestiegen ist, im Februar gestorben ist, gab es keine Gedenkminute; die Spieler haben keinen Trauerflor getragen. So etwas gehört sich nicht."

So sehr Rüter sieht, dass der neue KFC-Präsident Ponomarev nach der Ära Lakis den Verein voranbringt, so sehr fremdelt er mit der Haltung, einen Verein als Geschäftsmodell zu sehen. "Da finde ich mich nicht wieder. Lakis war fußballverrückt, wusste aber nicht, wie es geht. Ponomarev analysiert knallhart, aber man fragt sich, ob nicht das Herzblut fehlt."

Wie auch immer: Jo Rüter geht weiter zum KFC, sammelt weiter jede Eintrittskarte, führt weiter Statistik über jedes Spiel. In drei Jahren geht er 50 Jahre lang zu den Spielen dieses Vereins. Man beendet das Gespräch in dem schönen, selten so klar empfundenen Gefühl: Marmor Stein und Eisen bricht, aber diese Liebe nicht.

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(RP)
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