Krefeld Kino-Sinfonie begeistert auf der Rennbahn

Krefeld · Der Stummfilm-Klassiker "Das Cabinet des Dr. Caligari" verfehlte seine Wirkung auf die Besucher nicht.

 Sinfonie mit Stummfilm-Klassiker am Samstagabend auf der Rennbahn: Die teilweise bizarren Szenen auf der Riesenleinwand und dazu die dramatischen Auftakt-Akkorde des Orchesters sorgten bei manchem Besucher für eine bedrohliche Stimmung.

Sinfonie mit Stummfilm-Klassiker am Samstagabend auf der Rennbahn: Die teilweise bizarren Szenen auf der Riesenleinwand und dazu die dramatischen Auftakt-Akkorde des Orchesters sorgten bei manchem Besucher für eine bedrohliche Stimmung.

Foto: Janssen

Der Regenguss am frühen Abend hatte zwar offenbar manch einen von der Rennbahn ferngehalten, denn die Premiere der Kino-Sinfonie mit dem Stummfilm-Klassiker "Das Cabinet des Dr. Caligari" war am Samstagabend zwar gut besucht, aber nicht ausverkauft. Wer gekommen war, bekam allerdings ein Spektakel geboten, das vom Wetter sogar noch zusätzliche Unterstützung erfuhr.

Die bizarr geformte und giftgrüne Schrift auf der Riesenleinwand und dazu die dramatischen Auftakt-Akkorde vom Orchester hüllten sogleich in eine bedrohliche Stimmung ein, und die Blitze, die noch immer durch den Himmel zuckten, verstärkten noch die Ahnung, dass schlimme Dinge bevorstanden. Und richtig: Von bösen Geistern war im ersten Dialog die Rede. Vorerst aber lenkte fröhliches Jahrmarkttreiben vom drohenden Unheil ab, und Dr. Caligari mit Cesare, seinem Somnambulen, seinem Schlafwandler also, schien weiter nichts als eine der Scharlatanerien zu sein, wie sie auf den Jahrmärkten vor fast 100 Jahren üblich waren. Das in feinste Details aufgelöste Mienenspiel aber, welches Cesares Aufwachen für den Auftritt darstellte und in Großaufnahme seines Gesichts gezeigt wurde, jagte dem Betrachter intensive Schauer über den Rücken und verriet auch dem cineastisch Unkundigen, dass mit Robert Wiene ein echter Meister Regie geführt hatte. Und als der junge Alan den angeblich zukunftsgesichtigen Somnambulen keck gefragt hatte: "Wie lange werde ich leben?" und dieser geantwortet hatte: "Bis zum Morgengrauen", da war die Gruselstimmung perfekt. Natürlich wurde Alan am nächsten Tag ermordet aufgefunden und war bereits das zweite Opfer eines geheimnisvollen Messerstechers, dessen Enttarnung auf mancherlei Umwegen die Filmhandlung bestimmte.

Dabei stellte der Plot für seine Zeit - der Film entstand 1919 - keineswegs eine Plattitüde dar. Das Spiel des Regisseurs mit dem Faktor Verunsicherung war mehr als nur der Versuch, einen Krimi spanend zu gestalten, sondern erschließt seine ganze Bedeutung wohl erst vor dem Hintergrund des gerade überstandenen Ersten Weltkriegs, der als erster industrialisierter Krieg der Geschichte und katastrophaler Endpunkt der bis dahin gewohnten Gesellschaftsordnung, einen tiefgreifenden Schock für die Menschen bedeutete. Insbesondere die Figur des Dr. Caligari, vielleicht der einzig kühle Kopf in einer wahnsinnig gewordenen Welt, vielleicht aber auch der Schlimmste unter den Wahnsinnigen, stellte nicht nur einen seelisch "gekippten" Psychiater dar, sondern verkörperte darüber hinaus den Typus Tyrann, für den Gesellschaften in Phasen genereller Verunsicherung nur allzu empfänglich sind. Namhafte Wissenschaftler wie Siegfried Krakauer haben sich mit der sozialpsychologischen Tragweite des Film-Opus auseinandergesetzt.

Auch die Techniken, die Wiene benutzte, waren von bahnbrechender Klasse. Die verschachtelten kleinen Räume und engen Gassen der Kulisse wurden mit sparsamsten Mitteln, aber hochgradig wirkungsvoll in Gestalt expressionistischer Malereien oder Zeichnungen hergestellt und nicht nur äußerst geschickt beleuchtet, sondern auch noch wechselnd in psychologisch unterschiedlich wirkende sepia-braune und waldmeister-grüne Tönungen getaucht. Dazu die nicht als Textfeld ins Bild einmontierte, sondern über die ganze Bildfläche geblendete giftgrüne Schrift, und die während der ganzen Vorstellung anhaltenden tonlosen Blitze über der Leinwand und dem Orchesterzelt machten das Anschauen auch für den heutigen Besucher zum Erlebnis.

Selbst gelegentliches Flaschen- und Gläserklirren auf den Rängen trug noch zur prickelnden Atmosphäre bei.

Großen Anteil an der Wirkung hatten selbstverständlich die mit 60 Musikern angetretenen Niederrheinischen Sinfoniker unter der Leitung des famosen Andreas Fellner und die von ihnen live aufgeführte, im Jahr 2010 neu komponierte Filmmusik des Schweizers Stéphane Fromageot, der den Premierenabend übrigens selbst miterlebte. Der hatte eine insgesamt schlüssige Partitur geschaffen - mit prägnanten Leitmotiven für die Fllmcharaktere und mal eher konventionellen, mal schräg atonalen Klangbildern, welche die hypnotische Wirkung der bewegten Bilder zusätzlich betonten. Und das Orchester führte diese Musik in absolut tadelloser Weise auf. Vom kompositorischen Ansatz her war sie jedoch ein wenig zu dominant angelegt und überlagerte - allerdings auch aufgrund zu großzügig eingestellter Lautstärke - den visuellen Eindruck oft in einer Weise, die dem grandiosen Film-Opus nicht ganz gerecht wurde.

Dennoch dürfte der mehr als herzliche Schlussapplaus zu gleichen Teilen dem Film und den Niederrheinischen Sinfonikern gegolten haben.

(RP)
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