Museumsdirektor Martin Hentschel "Krefeld spielt jetzt in der oberen Museumsliga mit"

Krefeld · Heute eröffnet das Kaiser-Wilhelm-Museum. Das sanierte Haus ist eine wichtige Adresse im Kunstbetrieb, findet der Museumschef. "Die Sammlung ist bedeutender als die Große Kunstsammlung NRW", sagt er.

Grund zur Freude: Martin Hentschel kann das sanierte Museum heute eröffnen und die letzte von ihm konzipierte Ausstellung zeigen. Ende August geht er in den Ruhestand.

Grund zur Freude: Martin Hentschel kann das sanierte Museum heute eröffnen und die letzte von ihm konzipierte Ausstellung zeigen. Ende August geht er in den Ruhestand.

Foto: Thomas Lammertz

Zehn Jahre lang ist am Umbau geplant worden, mehr als sechs Jahre lang war das Kaiser-Wilhelm-Museum geschlossen - wie steht Krefeld mit dem sanierten Haus in der Museumslandschaft? Sind wir obere Liga?

Hentschel Absolut. Auch, weil die Sammlung eine besondere ist - quantitativ sowieso. Aber auch inhaltlich kann sie sich mit den Beständen in den Düsseldorfer und Kölner Häusern messen. Unsere Sammlung reicht vom späten Mittelalter bis heute. Das Museum Kunstpalast in Düsseldorf hat einen ähnlich großen Umfang, aber im Vergleich zur Kunstsammlung NRW liegen wir weit darüber. Das wird die Eröffnungsausstellung "Abenteuer unserer Sammlung" zeigen.

Woran liegt es, dass in Krefeld diese enormen Schätze oft gar nicht wahrgenommen werden?

Hentschel Das ist eher ein Problem der Politik. Dort wusste man lange Zeit nicht, wie hochkarätig unsere Sammlung ist; deshalb wurde das Kaiser-Wilhelm-Museum Jahrzehnte lang finanziell vernachlässigt. Die kunstinteressierten Bürger wissen sehr wohl, welche Schätze wir besitzen.

Nordrhein-Westfalen hat eine große Museumsdichte. Krefeld ebenso: Kunstmuseen, Textilmuseum und Burg Linn könnten die Stadt gleichzeitig mit fünf verschiedenen Ausstellungen bespielen. Ist das zu viel - auch mit Blick auf Leverkusen, wo die Schließung des Museums Morsbroich droht?

Henstchel Nein, denn hier werden viele verschiedene Arten von Publikum bedient. Nicht jeder, der sich für Textilgeschichte interessiert, interessiert sich auch für zeitgenössische Kunst - und umgekehrt. Krefeld hat im Gegensatz zu Leverkusen relativ glückliche Verhältnisse, dank einer langen Tradition mit dem Beginn des Kaiser-Wilhelm-Museums vor 120 Jahren und den Häusern Esters und Lange seit rund 60 Jahren. Diese Tradition ist immer gepflegt worden - insbesondere von einer einflussreichen Bürgerschaft.

Ob das Kaiser-Wilhelm-Museum stärker seiner Ausrichtung auf die Kunst der Moderne verpflichtet ist als seinen Wurzeln in der Werkkunst, ist ein immer wieder aufflackerndes Diskussionsthema. Ist das ein Dilemma oder eher ein Alleinstellungsmerkmal?

Hentschel Wir haben ein Universalmuseum mit Stücken aus allen Kunstsparten. In der angewandten Kunst besitzen wir ein riesiges Konvolut, das aber seit den 30er Jahren nie mehr erweitert worden ist. In der Kunstbetrachtung denken wir grundsätzlich von der Gegenwart aus: Was ist für uns heute an künstlerischen Äußerungen und Konzeptionen wichtig und interessant. Mit einer so breit aufgestellten Sammlung können wir weit zurückblicken, die Vergangenheit in die Nähe der Besucher bringen und sie mit aktueller Kunst in Kontrast oder Dialog setzen. Das wollen wir mit "Abenteuer unserer Sammlung" ins Bewusstsein bringen. Kein Künstler arbeitet im luftleeren Raum. Und wie ein Ausstellungsmacher verschiedene Positionen zusammenbringt, ist jeweils eine subjektive Sache.

Welche Künstler haben Sie persönlich am meisten beeindruckt?

Hentschel Ich hatte zwei wichtige Lehrer: Josef Beuys als Künstler und Max Imdahl als Kunsthistoriker. So fließen bei meinem Umgang mit Kunst immer wieder künstlerische und kunsthistorische Konzepte zusammen. Dazu gehört eine große Portion Intuition.

Das neue Museumskonzept bietet vieles für kundige Interessierte, etwa ein Grafik-Kabinett, in dem intensives Studium zu Werken möglich ist. Wie erreichen Sie die Anderen?

Hentschel Wir haben auch das Studio 2, in dem unser Museumspädagoge Thomas Janzen zusammen mit der Krefelder Künstlergruppe "Sputnik" Besuchern einen Einstieg bietet, die noch komplett unbeleckt sind. Ihnen bietet er einen Einstieg über Interaktion. Wir sind auch im Internet präsent, haben verschiedene neue Flyer. Das kann nur der erste Schritt sein. Unser Ziel ist es, Menschen auf ein höheres Erfahrungs- und Erlebnisniveau zu bringen. Jeder kann intuitiv Eindrücke von Kunst gewinnen. Kunst spricht an, weil sie sich an die Emotionen richtet. Sie bietet viele Erkenntnisse an zu politischen und gesellschaftlichen Themen, Dingen, die uns täglich umgeben.

Sie glauben nicht an die Devise: Man sieht nur, was man weiß?

Hentschel Es geht nicht immer um das "Aha-Erlebnis". Es gibt ein besonderes Staunen, das Kunst im besten Falle auslöst - und das einen erstmal sprachlos macht. Das ist der erste Zugang. Für Kinder ist er ganz natürlich, bei Erwachsenen aber auch möglich.

Das gilt auch für abstrakte Kunst?

Hentschel Selbstverständlich. Abstrakte Kunst richtet sich an den nichtsprachlichen Bereich. Man kann sich deshalb emotional begeistern oder beeinflussen lassen, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Deshalb ist das Vis-à-Vis-Erlebnis mit der Kunst durch nichts zu ersetzen.

Wenn Sie auf Ihre fast 16-jährige Amtszeit in Krefeld zurückblicken: Der Abzug der Sammlung Lauffs war sicherlich der Tiefpunkt. War er von heute aus betrachtet auch eine Chance zur Emanzipation?

Hentschel Die Sammlung Lauffs war von Anfang an auf Abruf in Krefeld, nur hat sich bei Politik und Bürgern in den 40 Jahren der Irrglaube breit gemacht, man könnte sie dauerhaft hier behalten und womöglich sogar geschenkt bekommen. Dabei war die Sammlung immer als Kapitalanlage für die Töchter von Walther Lauffs gedacht. Ich habe für mich persönlich den Schluss gezogen, nicht auf geliehenen Ruhm zu setzen, also keine privaten Leihgaben mehr anzunehmen. Aber der eigentliche Tiefpunkt für mich war die finanzielle Situation zwischen 2010 und 2014. Der Ausstellungsetat war mit knapp 90.000 Euro auf dem niedrigsten Stand. Wir mussten von sechs auf vier Ausstellungen jährlich reduzieren. Das mag von außen nicht so auffällig sein, aber für uns war das bitter. Es bedeutete eine große Anstrengung, mit diesem winzigen Eigenkapital immer wieder Sponsoren zu suchen. Unter dem fehlenden Ankaufsetat haben wir dank der Heinz und Marianne Ebers-Stiftung und den Museumsfreunden nicht so stark gelitten. Ab 2016 ist der Ausstellungsetat mit 200.000 Euro wieder auskömmlich. Ich bin Gregor Kathstede immer noch dankbar, dass er den Weg dafür geebnet hat.

Andreas Gursky, John Baldessari, Eric Fischl: Sie haben renommierte Künstler nach Krefeld geholt. Wer waren Ihre Favoriten?

Hentschel Die drei Genannten natürlich, aber auch viele andere. Erfolg misst sich meist mit Verzögerung. Da waren viele Künstler mit großem Nachklang: Bridget Riley, Robert Longo, Kiki Smith - das war sensationell, auch Mike Kelley etwa. Wir waren das letzte Museum, das ihn ausgestellt hat, bevor er gestorben ist. Ich bin noch stolz darauf, dass wir es geschafft haben, jemanden, der bekanntermaßen so eigenwillig ist, nach Krefeld zu holen.

Haben Sie ein Lieblingsstück in der Sammlung?

Hentschel Das ist in der Regel der neueste Ankauf. Bei Fabian Marcaccio war es so, bei dem Bild "The Lynching of Mary Turner". Ich finde es eindrucksvoll, wie er Geschichte und Zeitgeschehen aufarbeitet. Aber ich beschränke mich nicht auf einen Künstler oder eine Sparte. Auch die Skulptur "Der gebrochene Kreis" von Wolfgang Luy, die wir jetzt zum erstem Mal aufbauen, bedeutet mir viel: Der fragile Aufbau, das ist unsere Gesellschaft. Bei uns gibt es überall gebrochene Kreise. Ich schätze Dinge, die ein Menschenbild ansprechen, die conditio humana, also die Bedingungen des Menschseins umreißen. Das berührt mich am meisten.

Bei den Vorbereitungen beschäftigen Sie sich intensiv mit Künstlern und Werken. Sehen Sie sich laufende Ausstellungen in den eigenen Häusern auch mehrfach an? Auch mit unterschiedlichem Blick?

Hentschel Wenn ich selbst Führungen mache, sehe ich Ausstellungen natürlich einige Male. Dabei lässt sich manchmal eine Änderung der Wertigkeit feststellen. Was man am Anfang wichtig fand, kann sich dann schon mal verschieben und man findet etwas anderes wichtiger. Wenn man sich länger auseinandersetzt, zeigt sich, wie lange ein Werk relevant ist. Das ist auch die zentrale Frage bei Ankäufen.

Im Bauhausjahr 2019 werden die Häuser Esters und Lange im Mittelpunkt stehen. Wird das KWM davon profitieren?

Hentschel Es gab lange eine starke Trennung. Das gemeinsame Logo mit den drei Häusern als Krefelder Kunstmuseen war der Beginn, das aufzubrechen. Es wäre schön, wenn diese Entwicklung sich fortsetzt. Bisher waren Künstler immer glücklich, dass die Häuser so unterschiedlichen Charakter haben. Ich halte das auch für eine Bereicherung.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort