Krefeld Krefelder entdecken unbekanntes Erdbeben

Krefeld · Experten erklären, was es mit dem seltsamen Fund für eine Bewandtnis hat und verfassen einen wissenschaftlichen Aufsatz.

 Pastor Adamus Wiertz hat in seinem Brevier sieben Erdbeben handschriftlich und in Latein notiert, die er in Fischeln während seiner Amtszeit von 1690 bis 1733 bemerkt hat. Die

Pastor Adamus Wiertz hat in seinem Brevier sieben Erdbeben handschriftlich und in Latein notiert, die er in Fischeln während seiner Amtszeit von 1690 bis 1733 bemerkt hat. Die

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Adamus Wiertz war vor rund 300 Jahren Pastor in Fischeln: Wie die Kollegen seiner Zeit nannte der Geistliche ein Brevier - eine Art Handbuch des Glaubens - sein eigen, in dem er handschriftliche Einträge in Latein hinterließ. Dass diese Notizen einmal im Jahr 2015 zwei Krefelder in wahre Verzückung versetzen, damit hatte der gelehrte Mann sicher nicht gerechnet. Adamus Wiertz notierte am 18. September 1692 ein Erdbeben, dessen Auswirkungen er in Fischeln gespürt hatte. Es folgten die Einträge von sechs weiteren Erdbeben in seiner Amtszeit von 1690 bis 1733.

Christoph Reichmann, Leiter des Museums Burg Linn, machte den Verleger und Historiker Stefan Kronsbein und Klaus Lehmann vom Geologischen Dienst Nordrhein-Westfalen auf das Brevier und die Einträge aufmerksam. Bei den beiden Erdbebenexperten war sofort der Forschergeist geweckt. "Die Notizen sind eine aufsehenerregende Entdeckung", urteilte Kronsbein gestern bei der Vorstellung ihres wissenschaftlichen Fachaufsatzes zum Thema.

Relativ schnell stand für die Krefelder Experten fest, dass es sich bei Adamus Wiertz um keinen Spinner gehandelt hat. Mit fünf der sieben von ihm eingetragenen Erdbeben stimmten andere Quellen überein. Unter anderem die Erschütterungen mit der Stärke 6,8 im belgischen Verviers am 18. September 1692. Zwei Erdbeben schienen zunächst völlig unbekannt. Sie waren bislang in keinem Erdbebenkatalog vermerkt. Eines vom 15. März 1722 und ein anderes vom 16. September 1719.

 Klaus Lehmann, Leiter des Landeserdbebendienstes beim Geologischen Dienst NRW, und Historiker und Verleger Stefan Kronsbein (re.) mit dem alten Brevier.

Klaus Lehmann, Leiter des Landeserdbebendienstes beim Geologischen Dienst NRW, und Historiker und Verleger Stefan Kronsbein (re.) mit dem alten Brevier.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Kronsbein und Lehmann machten sich auf die Suche nach einer Referenzquelle, die die Angaben des Fischelner Geistlichen bestätigen. Mit Hilfe des Internets stießen sie auf eine niederländische Publikation, in der von einem Beben am 15. März 1722 in Düsseldorf berichtet wurde. "Wir gehen davon aus, dass auch der Eintrag von 1719 der Wahrheit entspricht", sagt Geophysiker Lehmann.

Die Funde seien kleine Mosaiksteine, die aber in der Lage sind, bisherige Interpretationen von Daten und Ereignissen in Frage zu stellen. Warum sind solche, mehrere hundert Jahre alten Erdbeben heutzutage von Bedeutung? Sie wirkten sich manchmal relativ direkt auf Sicherheitsstandards im Baubereich aus, erklärten die beiden. Wichtig sei festzustellen, wo erdbebengefährdete Regionen seien und welche Dimensionen sie einnähmen. Als aktuelles und sehr dramatisches Beispiel zählt Lehmann das Kernkraftwerk im japanischen Fukushima auf, das in einer Erdbebenregion gebaut worden war. "Die seismologischen Erkenntnisse haben vorgelegen, ausreichende bautechnische Konsequenzen sind offenbar ausgeblieben", kommentierte der Leiter des Landeserdbebendienstes die Reaktorkatastrophe. Kronsbein ist sicher, dass es noch vielerorts alte Chroniken gebe, die womöglich zusätzliche Erkenntnisse liefern könnten. Hinweise nimmt er entgegen.

(RP)
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