Krefeld Krefelder starten mit Pfeif-Champion ins Jahr

Krefeld · Wäre Kunstpfeifen olympische Disziplin, Geert Chatrou hätte die Goldmedaille. Aber das Krefelder Publikum könnte mit seinem Neujahrspfeifen durchaus auch auf vorderen Rängen landen. Beim Neujahrskonzert der Niederrheinischen Sinfoniker gestern war die Begeisterung riesig.

 So einen Solisten gab es im Krefelder Theater noch nie: Der niederländische Kunstpfeifer Geert Chatrou (stehend, links neben Generalmusikdirektor Mihkel Kütson) gab mit den Niederrheinischen Sinfonikern im Neujahrskonzert eine Reise durch die Welt der Oper.

So einen Solisten gab es im Krefelder Theater noch nie: Der niederländische Kunstpfeifer Geert Chatrou (stehend, links neben Generalmusikdirektor Mihkel Kütson) gab mit den Niederrheinischen Sinfonikern im Neujahrskonzert eine Reise durch die Welt der Oper.

Foto: Thomas Lammertz

Das Theater hat seine Regeln. Und vor allem die ungeschriebenen sind Gesetz. Eine Regel untersagt strengstens das Pfeifen vor, auf und hinter der Bühne. Sie stammt noch aus der Zeit der Öllampen, die mit einem typischen Pfeifton Sauerstoffmangel anzeigten und einen drohenden Brand meldeten. Wie gut, dass heute Scheinwerfer Bühne und Saal ausleuchten. So konnte Theaterintendant Michael Grosse gestern einen mehrfachen Weltmeister beim traditionellen Neujahrskonzert im gut gefüllten Theater begrüßen, der in früheren Zeiten Hausverbot gehabt hätte: Geert Chatrou.

Der 45-jährige Niederländer ist Kunstpfeifer, hat in diesem Fach dreimal die WM gewonnen. Wäre diese Disziplin olympisch, hätte er sicherlich Gold und einen Rekord in Koloraturen. Dass die Österreicher Pfeifen im 19. Jahrhundert als Kunstform in ihren Varietés populär gemacht haben, ist Geschichte. In Deutschland erinnern sich Fans der 60er-Jahre-Filme an Ilse Werner, die "Frau mit Pfiff". Aber was das Publikum mit Chatrou erwartete, war nicht so ganz klar. "Einer, der auf alles pfeift", nennt ihn Grosse.

Sogar auf Opern von Mozart, Delibes und Puccini, lehrt das Programm. Dann tritt er auf, die Statur eines Kraftsportlers, nimmt einen Schluck aus einem seiner beiden Wassergläser - wir ahnen: das Mund- und Lippenbiotop braucht optimalen Feuchtigkeitsgehalt -, und endlich der erste Ton. Welche Überraschung: reinster Sopran, der kühn die höchsten Höhen erklimmt. Scheinbar mühelos perlt Chatrou durch die schwierigen Koloraturen der Königin der Nacht, lässt die Rache-Arie blitzen und funkeln. Wer jetzt die Augen schließt, nimmt den Mann mit dem freundlichen Bartgesicht als Primadonna der Opernbühne wahr, der die Niederrheinischen Sinfoniker aufs Schönste den roten Klangteppich ausrollen. Generalmusikdirektor Mihkel Kütson hat ein Händchen für orchestrale Überraschungen und musikalische Entdeckung. Für den Jahresauftakt hat er ausschließlich Stimmungsmacher ausgewählt. Sein Opernquerschnitt mit Chatrou als "Singstimme" kommt bestens an. Im bekannten Blumenduett aus "Lakmé" liefert er sich ein virtuoses Zwiegespräch mit Violinist Philipp Wenger und dem Orchester, mit Dominik Lang am Marimbaphon sprintet er tonrein durch die "Circus Renz"-Melodie von Gustav Peter.

Und Chatrou kann nicht nur schnell und langsam, er dosiert auch die Lautstärke minutiös, was in "O mio babbino caro" ganz zart wirkt. An seinem Atem hört das Publikum nun, dass Musik ohne Instrument schwere Arbeit ist. Dass Pfeifen Kunst ist, erfahren alle bei einer Eigenkomposition Chatrous, weil sie mitwirken dürfen. Der vom Meister vorgegebene Ton hallt in allen Möglichkeiten der Tonleiter aus dem Saal wider. Doch am Ende klingt's passabel. Ohne Zugabe kommt der Gast aus Eindhoven nicht davon.

Auch an den Niederrheinischen Sinfonikern mag sich beim ersten Konzert des Jahres niemand satt hören. Zweimal muss das Orchester nachlegen, bis alle beim "Radetzkymarsch" herzlich mitklatschen. Das haben die Musiker sich verdient. Vor dem festlichen roten Samt auf der Bühne zünden sie ein spanisches Feuerwerk. Mit Castagnetten und Tambourin feiern sie den Zarzuela-Meister Gerónimo Giménez, leuchten Chatschaturjans Suite aus "Die Witwe von Valencia" dynamisch aus und marschieren stolz durch den Marcha de Zacatecas von Codina. Es ist ein fruchtbarer Boden für Grosses Wunsch für ein friedvolles 2017 mit dem Vorbild des Theaters: "Unter diesem Dach arbeiten Menschen aus 29 Nationen."

(RP)
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