Krefeld Krefelderin schreibt Flüchtlingsgeschichte

Krefeld · Die Begegnung mit einem Somalier auf Mallorca hat Gloria Yazdan Bakhsh so aufgewühlt, dass sie sein Schicksal aufschreiben musste.

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Foto: Tinter, privat (6), Dackweile, Kaiser, evers, Miserius, Blazy (2), Strücken, Malz, Knappe

Eine einzige Frage hat alles in Gang gebracht. Der Urlaub auf Mallorca öffnete Gloria Yazdan Bakhsh ein neues Kapitel für ihr Schreiben. Als Autorin von Ratgebern für die Unebenheiten des Lebens und Kinderbüchern hatte die Krefelderin sich bereits einen Namen gemacht. Dann kam jener Moment, als sie gedankenversunken auf der Strandmauer der Baleareninsel hockte.

Es passierte, was ständig und allen Touristen passiert: Jemand spricht sie an, um etwas zu verkaufen oder um ein paar Euros zu bitten. Gloria Yazdan Bakhsh reagierte spontan: "Ich sah in ein sehr intelligentes Gesicht und fragte den jungen Mann: Warum machst du das? -Vielleicht habe ich auf ihn auch vertrauenerweckend gewirkt, denn er hat mir seine Geschichte erzählt." Eine Flüchtlingsgeschichte.

Sie hat die Krefelderin so erschüttert, dass sie sie sie eine Weile mit sich herumtrug und dann aufschrieb: "Auf den Schwingen der Nacht. Die lange Flucht" hat sie in Eigenverantwortung veröffentlicht. "Es war ein tiefes Bedürfnis das alles aufzuschreiben. Auch um selbst damit fertig zu werden", sagt sie.

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Foto: dpa, mb soe

Der Mann am Strand von Mallorca erzählte, er sei 29 Jahre alt. In Somalia, seiner Heimat, war er Lehrer. Mit seiner Frau und seinem kleinen Kind war er vor dem Bürgerkrieg geflohen. Es ist die so oft gehörte Geschichte von Schleppern, von unzumutbaren Zuständen, von Angst und Schmerzen und von der erhofften Rettung übers Meer. "Das sind die Bilder, die wir ständig in den Medien sehen. Aber das Leid ist kaum greifbar. Ein einzelnes Schicksal berührt sehr viel mehr", sagt die Autorin.

Gloria Yazdan Bakhsh nennt den Mann Samir, und sie lässt seine Biografie schillern, beschreibt in schnörkelloser Sprache seinen Alltag in der kleinen Lehmhütte, in der er mit seinen drei Schwestern und den Eltern wohnt. In nüchternem Erzählton umreißt sie eine Kultur, die anderen Gesetzen folgt. "Er erinnert sich an das eisige Schweigen, zwischen seiner Mutter und seinem Vater, als er noch sehr klein war und nacheinander immer nur Schwestern kamen. Er liebt seine drei Schwestern sehr, und sie vergöttern natürlich ihren großen Bruder". Das lässt das große Dilemma Samirs aufschimmern: Er hängt an seinem Zuhause, doch als einziger Sohn lastet die Verantwortung auf ihm. Da fällt die Entscheidung nicht leicht, Land und Familie zu verlassen. Bei der Knochenarbeit in der Großstadt, wo er Geld ansparen will für die Flucht nach Europa, kann er sein Heimweh kaum vergessen.

Yazdan Bakhsh mixt die Biografie ihrer Zufallsbekanntschaft mit Fiktion zu einem Bild, das sich beim Leser einbrennt. Der Fortgang der Geschichte ist selten überraschend, zu oft hat man die Fakten schon gehört und gelesen. Aber die Figur des Samir wird zum Freund, an dessen Schicksal man teilnimmt.

 Gloria Yazdan Bakhsh erzählt in ihrem Belletristik-Debüt ein bewegendes Flüchtlingsschicksal, das auf wahren Begebenheiten beruht.

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Foto: Thomas Lammertz

In der 66-Jährigen haben die Erzählungen des Somaliers Bilder ihrer eigenen Vergangenheit wachgerufen, sagt sie. "Als Kind haben mich Flüchtlingsschicksale bereits bewegt", sagt sie. "Der Auszug aus Ägypten in der Bibel hat mich lange beschäftigt. Ich habe mir ausgemalt, wie schrecklich es ist, wenn die Angehörigen getötet werden, wenn man nicht einmal mehr die Gelegenheit hat, ihr Grab zu besuchen." Und die Wüsten und Oasen aus Samirs Heimart sind ihr nicht fremd: Die gelernte Immobilienberaterin war mit einem iranischen Ingenieur verheiratet und hat sechs Jahre lang in Teheran gelebt. "Es war während der Schah-Zeit. Anfangs war es traumhaft. Doch dann kamen die Revolution und der Bürgerkrieg. Damals sind wir auch geflüchtet. Wir mussten alles aufgeben." Krefeld wurde zur neuen Heimat. Aber die Erlebnisse hallten nach. "Auf dem Flughafen haben wir die bewaffneten Soldaten und die Panzer gesehen. Solche Bilder kann ich immer noch nicht im Fernsehen ertragen."

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Foto: dapd, dapd

Deshalb gewährt sie ihrem literarischen Samir eine Gnade, die dem realen Vorbild verwehrt ist: Am Ende des 163 Seiten starken Taschenbuchs ertrinkt er vor der tunesischen Küste im Meer - gemeinsam mit Frau und Kind. Der wahre Samir hat das Bootsunglück überlebt - als einziger seiner Familie. "Das hätte ich nicht übers Herz gebracht. Allein zu überleben ist grausam." Auch im Sehnsuchtsland.

(RP)
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