Krefeld Kriegsende: Gedenkveranstaltung in VHS

Krefeld · Am Sonntag zeigen Neuntklässler des Ricarda-Huch-Gymnasiums in einem Film, Theaterszenen und einer Ausstellung, was ihnen Zeitzeugen über das Ende des Zweiten Weltkrieges berichtet haben. Wir stellen drei der Zeitzeugen vor.

 Aloys Hoersch - sein Vater klebte in seinen Tornister ein Kreuz, weil die Nazis alle Kruzifixe aus der Schule entfernt hatten.

Aloys Hoersch - sein Vater klebte in seinen Tornister ein Kreuz, weil die Nazis alle Kruzifixe aus der Schule entfernt hatten.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Eine Arbeitsgemeinschaft aus Krefelder Akteuren hat das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren zum Anlass genommen, an die Ereignisse im Frühjahr 1945 in Krefeld zu erinnern. Die Volkshochschule (VHS) lädt für Sonntag, 10. Mai, 11.30 Uhr, zu einer Gedenkveranstaltung in ihr Haus am Von-der Leyen-Platz 2 ein. Bei der Veranstaltung werden Interviews geführt, es werden Theaterszenen und ein Film über Gespräche mit Zeitzeugen aufgeführt.

Gefördert vom Förderverein der VHS, haben Schüler einer neunten Klasse des Ricarda-Huch-Gymnasiums Interviews mit Zeitzeugen zum Kriegsende geführt. Begleitet von ihren Lehrerinnen Ruth Müller und Britta Taetz, von Mitarbeitern des Stadtarchivs, von Christine Westenfelder vom Kresch-Theater, von Christoph Dautermann, stellvertretender Leiter des Museums Burg Linn, sowie der Historikerin Irene Feldmann haben die Schüler die Erinnerungen verarbeitet und präsentieren sie in der Veranstaltung. Jens Voss, Leiter der Rheinischen Post Krefeld, moderiert den Vormittag. 40 Zeitzeugen sind bereit gewesen, im Rahmen des Projekts über ihre Erinnerungen an das Kriegsende oder die Nachkriegszeit zu berichten oder Erinnerungsstücke zur Verfügung zu stellen.

Zu den Zeitzeugen, die bereit waren zu erzählen gehört Aloys Hoersch, heute 80 Jahre alt. Er ist in Uerdingen aufgewachsen; seine Eltern waren gut katholisch und damit Gegner der Nazis. Als achtjähriger Junge hat er 1943 beim Bombenangriff auf Krefeld miterlebt, wie die Kirche St.Peter in Uerdingen ausgebrannt ist: Der Brand wäre zu verhindern gewesen, berichtet er; eigentlich war es nur eine einzelne Brandbombe, die irgendwo auf der Orgelempore lag; sein Vater gehörte zu denen, die löschen wollten - doch man ließ ihn nicht. Hoersch geht davon aus, dass die Nazis, die neben der Kirche eine Parteizentrale unterhielten, die Löschversuche verhinderten. Als die Feuerwehr endlich doch kam, war es längst zu spät - die Kirche brannte lichterloh.

 Hanneliese Poschag musste als Kind erleben, dass sie gehänselt wurde, weil sie nichts besaß - die Familie war ausgebombt.

Hanneliese Poschag musste als Kind erleben, dass sie gehänselt wurde, weil sie nichts besaß - die Familie war ausgebombt.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Sein Vater war es auch, der dem Sohn ein Kreuz in den Tornister klebte und es mit einem Stück Stoff verdeckte - die Nazis hatten alle Kruzifixe aus den Schulen verbannt; "die Kreuze sind weg", hat sein Vater zu ihm gesagt, aber mit deinem Tornister ist immer noch ein Kreuz in der Schule, das dich und deine Mitschüler beschützt". Als Hoersch das erzählt, wird er überwältigt von der Erinnerung und kämpft mit den Tränen.

Einmal hat sein Lehrer die Klasse gefragt, ob auch alle Familien ein Bild des Führers zu Hause hängen hätten; die Schüler sollten am nächsten Tag Mitteilung darüber machen. Hoerschs Vater, so erinnert sich Aloys, führte seine Söhne zu einem Bild von Papst Pius XII. und sagte: "Das ist unser Führer, wir haben also ein Führerbild." Das sollten sie auch in der Schule sagen - ohne den "Führer" zu benennen.

 Walter Reintjes erlebte als Kind die schweren Bombenangriffe auf Krefeld.

Walter Reintjes erlebte als Kind die schweren Bombenangriffe auf Krefeld.

Foto: Thomas Lammertz

Hanneliese Poschag war im Mai 1945 sieben Jahre alt. "Es sind furchtbare Erinnerungen an eine schlimme Zeit", sagt sie. Die heute 77-Jährige war noch nicht in der Schule, als der Krieg in seinen letzten Zügen lag. Ihr Vater kämpfte zu dieser Zeit in Stalingrad, während sie mit ihrer Mutter und dem kleinen Bruder an der Inrather Straße lebte. "Zweimal sind wir ausgebombt worden. Einmal 1941 und dann noch mal 1943. Anschließend sind wir in den thüringischen Bereich evakuiert worden. Wir hatten ja in Krefeld kein Dach mehr über dem Kopf", erinnert sie sich. Auf einem kleinen Grundstück der Großeltern am Krüllsdyk wurde nach ihrer Rückkehr ein einfaches Holzhaus mit zwei Zimmern errichtet, in dem die fünfköpfige Familie mehr hauste als wohnte. "An meine Schulzeit nach Kriegsende habe ich keine schönen Erinnerungen. Wegen der ärmlichen Behausung und der zerlumpten Kleidung wurde ich viel gehänselt. Die Lehrer waren mir leider auch keine Hilfe." Erst später erfuhr die Krefelderin, dass ihr Vater im Widerstand aktiv war und Flugblätter verteilt hatte. "Er war deswegen auch wohl ein paar Mal eingesperrt. Aber das weiß ich nur aus Erzählungen", sagt Hanneliese Poschag. Was sie bis heute bewegt, ist der oft gehörte Satz: "Nach dem Krieg hatten wir alle nichts." Das stimme so nicht, betont sie. Vielmehr gab es ein deutliches Wohlstandsgefälle zwischen denen, die ausgebombt waren, und denen, denen dieses Schicksal erspart geblieben ist. Die Ausgebombten mussten sich aus dem Fall in die Armut mühsam herausarbeiten. Die Nachkriegsgesellschaft war ihren Erfahrungen nach nicht nur von Solidarität und Hilfsbereitschaft geprägt; sie als Schülerin musste auch erfahren, dass kriegsbedingte Armut auch Nachteile und Zurückweisung mit sich brachten.

Walter Reintjes war im Mai 1945 elf Jahre alt.

Bei strahlend blauem Himmel fielen Bomben auf Krefeld, erinnert sich Walter Reintjes an den Januar 1945. Es war der zweite schwere Bombenangriff, den der damals knapp Zwölfjährige erlebte. Er flüchtete vor den Bomben in die Karin-Göring-Schule, heute Ricarda-Huch-Gymnasium, die einen öffentlichen Luftschutzkeller besaß. "Ich war als Kind schon ein Luftschutzkeller-Experte, und ich weiß noch, dass ich dem riesigen Treppenhaus in diesem Gebäude misstraute. Ich hatte Zweifel, dass es einem Angriff standhalten würde. Es schien für uns die letzte Stunde zu sein", erzählt der heute 81-Jährige. Vom Portal dieser Schule aus beobachtete der Elfjährige wenige Monate später auch den Einmarsch der Amerikaner mit ihrer imposanten Kriegsmaschinerie. Reintjes: "Damals habe ich auch meinen ersten Neger gesehen. So hieß es damals. Er saß am Steuer und aß eine Hähnchenkeule."

VHS-Veranstaltung: Sonntag, 10. Mai, 11.30 Uhr, VHS-Haus, mit Film, Ausstellung, Theater und Interviews.

(RP)
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