Sonderausgabe Krefeld! Lust auf Seide

Krefeld · Das Wappentier der Krefelder müsste eigentlich eine Raupe sein. Die unscheinbaren gräulich-gelben Larven haben der Stadt in der Vergangenheit zu großem Glanz verholfen. Sie produzieren bis zu drei Kilometer lange Fäden, die zum Markenzeichen Krefelds wurden: Seide.

Bis heute werden in dieser Stadt Textilgeschichten geschrieben - von der Vergabe des international anerkannten Modemarketingpreises "Goldene Seidenschleife" bis zur High-Tech-Faser der Verseidag, die weltweit Einsatz findet. Und seit der Wiedereröffnung des rundumerneuerten "Hauses der Seidenkultur" mit ansprechendem Museumsshop, in dem auch klassische Krefelder Seidenmuster präsentiert werden, ist eine neue Lust an Krefelder Seidentraditionen spürbar.

Zum Beispiel bei Schinke Couture. An der Königsstraße verbindet Wolfgang Schinke die glanzvolle Geschichte der Seidenstadt mit zeitgemäßer Mode. Er nimmt die traditionellen Muster der Seidenfabrikation auf, die einst die Gewänder der Geistlichen und Adligen zierten, und kreiert daraus eine 2015er Kollektion. Seide ist immer noch das Material non plus ultra, findet der Couturier: "Es ist tatsächlich so: Sie kühlt im Sommer und wärmt im Winter. Ich kenne niemanden, dem Seide unangenehm ist." Nicht mal hypersensiblen Allergikern. Und sie passt zu den Krefelderinnen: "Wir sind von Düsseldorf nach Krefeld gezogen, weil wir festgestellt haben: Hier haben die Frauen ein sicheres Gespür für Textil. Krefelderinnen kaufen Qualität, Düsseldorferinnen kaufen Marken."

Seit dem 14. Jahrhundert waren die Italiener und die Franzosen berühmt für ihre edlen Stoffe. Friedrich II. wollte im späten 18. Jahrhundert den Glanz der Seide auch für sein Reich nutzen. Damals verlieh der König Krefeld das Monopol auf die Seidenweberei. Krefeld blühte wirtschaftlich auf. Mitte des 19. Jahrhunderts war die Hälfte der Krefelder Bevölkerung in der Seidenindustrie beschäftigt.

Nicht nur das Material ist zeitlos edel - auch die Paramenten, die im Kirchenraum und in der Liturgie verwendet wurden und für die Krefeld weltberühmt ist, haben modischen Bestand, findet Schinke. Traditionelle Muster der Paramenten-Historie setzt er zu Mode um, die für den großen Gala-Auftritt taugt oder für lässigen Jeans-Chic stehen. Es sind nicht nur Kreuze, die auf Denim-Jacken auftauchen. Oft werden Borten und Bordüren zum Accessoire an Blazer oder Chanel-Jäckchen, blitzt das traditionelle Ährenmuster keck plissiert aus einer aufspringenden Falte im Wollrock hervor. Was sich einst der Klerus leisten konnte, wird nun zur Couture.

Und nicht nur für Damen. Wolfgang Schinke spielt auch mit der Krawatten-Vergangenheit. Paramenten-Elemente zieren eine exklusive Schleifen-Kollektion. Um die Krawatte - seit Jahrhunderten das Krefelder Vorzeige-Accessoire für Männer - ist es derzeit ruhig. Fashion ist, was Trends setzt. Und das ist derzeit die Fliege. Justin Timberlake, Jan Delay und Thomas Rath tragen den klassischen Querbinder im Rampenlicht. Nicht nur junge Männer folgen dem Beispiel. Aus Seide in klassischen Abendtönen: Schwarz, Silber, Rot, aber auch mit frischem Grün, edler Bronze oder mutigem Lila werden Unikate, mit denen der Träger Botschaften aussenden kann, die Kundige entschlüsseln. Die Ähre ist das klassische religiöse Muster, das an Gottes Gabe, das tägliche Brot, erinnert. Der Löwe, der König der Tiere, war Sinnbild für die Macht und Herrlichkeit Gottes. Er war das Wappentier des Stammes Juda und der jüdischen Könige seit David. Der Elefant als das mächtigste Tier der Welt war vor 1000 Jahren dem Kaiser vorbehalten. Den Stoff im Schrein Karls des Großen zieren Elefanten. Ganz zeitgemäß wirkt das Granatapfelmuster - schon vor Jahrhunderten aus der Lotusblüte entwickelt. Es symbolisiert Liebe, Leben und Unsterblichkeit. Arabische Arabesken und venezianische Gondeln haben ebenfalls eine lange Tradition.

Die Muster hat Schinke im Haus der Seidenkultur, der ehemaligen Paramentenweberei Gotzes, studiert. "Ich finde es wichtig, dass man sich mit der Geschichte auseinandersetzt", sagt er. Aber darin verlieren dürfe er sich nicht. Denn zu viel Ehrfurcht vor der Vergangenheit trübe den Blick in die Zukunft.

(RP)
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