Krefeld Mit feinen Fäden gemalt

Krefeld · Das Textilmuseum eröffnet morgen eine ausgefallene Aus-stellung: "Stick-Bilder" zeigt historische Nadel-arbeiten und zeit-genössische Kunst.

Wer eine Liste berühmter Maler des 19. Jahrhunderts erstellen will, hat die große Auswahl. Nach Frauennamen wird man dagegen lange suchen. Ernsthafte Kunst war reine Männerdomäne. Sonst hätte Maria Neuber mit ihren Bildern Karriere gemacht. Ihre Arbeit "Quodlibet" von etwa 1830 bildet gesellschaftliches und politisches Leben des Biedermeier ab. Sie hat 21 kleine Bilder wie zufällig zusammengestellt, die von einer Opernaufführung und Postkartenlandschaften erzählen, aber in ihren Zusammenhängen ein Weltbild und politisches Bewusstsein offenbaren: Die Oper "Maurer und Schlosser" von Aubert spielt zeitweise im Palais des türkischen Gesandten in Paris. Mit einer Landkarte, einer Mariendarstellung und einem Mann mit Turban, die Neuber hinzufügte, zog sie Verbindungen zum russisch-türkischen Krieg 1828/29, die Befreiung Griechenlands und Konflikte zwischen Christentum und Osmanischem Reich. Doch die Brünnerin malte nicht mit Pinsel und Farbe, sondern mit Nadel und Faden. Die auf Seide gestickten Bilder ergänzte sie - ganz im Stil des Biedermeier - mit Goldfäden, menschlichem Haar, getrocknetem Obst, Gewürzen, Kristallen und Glasperlen.

Seit dem späten 16. Jahrhundert sind Textilien nicht mehr nur als Kleidung wichtig, sie werden zunehmend als Dekoration und für Inneneinrichtung verwendet. Gestickte Bilder bieten nun auch Frauen die Chance, mit ihrer Kunst außerhalb ihres Salons aufzufallen.

Wie Bildstickerei im 21. Jahrhundert aussieht, welche Parallelen und Weiterentwicklungen es von 1800 bis 2017 gibt, zeigt das Deutsche Textilmuseum in einer wunderschönen Ausstellung, die allerdings den langen Blick erfordert. Morgen wird sie eröffnet.

Die historischen Arbeiten aus der Museumssammlung sind in einem kleinen Kabinett im Herzen der Ausstellung präsentiert. Dort findet sich auch der Anlass für die Schau: Eine Chenille-Stickerei, die eine pastorale Szene zeigt. Die Arbeit, von der bisher wenig bekannt war, kam vor drei Jahren ins Haus und ist nun aufwändig restauriert worden (wir berichteten). Nun wird sie erstmals ausgestellt - und gibt einige Geheimnisse preis. "So ein Bild hat immer auch Vorlagen", sagt Isa Fleischmann-Heck, stellvertretende Leiterin des Museums. Im British Museum in London ist sie fündig geworden. Dort gibt es zwei Druckgrafiken mit entsprechenden Szenen von Richard Westall (1765 - 1836). "Jetzt können wir festmachen, dass die Stickerei zwischen 1792 und 1810 entstanden sein muss", sagt sie. Das war die große Zeit von Goethe in Weimar. Die zeitgenössischen Arbeiten verbinden ebenfalls Vorlagen ihrer Zeit mit feinster Fadenwirkerei. "Es ist sogar ein neuer Trend der Textilkunst, verschiedene Techniken und Medien zu mischen", sagt Museumsleiterin Annette Schieck. Fünf Künstlerinnen, die alle nicht aus dem Textilbereich kommen, präsentieren sensationelle Stickmalereien. Die Älteste ist Brunhild Mauss (77). Auf dem Stoff ausrangierter Herrenoberhemden lässt sie filigrane Landschaften blühen, zarte Blümchen und Gräser. An ihren 24 kleinformatigen, extrem dicht gewirkten Bildern kann das Auge sich nicht sattsehen. Familienfotografien, die nach Haushaltsauflösungen auf Flohmärkten landen, sind ein Fundus für Katharina Wilke (*1978). Hier findet sie klassische Gesellschaftsstrukturen, die Themen Mann & Auto, Frau & Tier, Italienreise... Die Motive bringt sie in Thermodruckverfahren auf groben Untergrund und verfremdet sie: stickt Tattoos auf Oberarme, pimpt 50er-Jahre-Autos mit knallfarbenen Garnen oder Goldfäden. Auch Victoria Martini (*1971) verfremdet Vorlagen aus Zeitungen und Internet, die sie auf zart gemusterte Stoffe bringt und im Stil der Pop Art mit Stickereien variiert.

Die gebürtige Südkoreanerin Gisoo Kim (*1971) legt ihre Stickerei wie ein zartes Netz über Fotografien, "malt" Bäumen zusätzliche Zweige, lässt mit feinsten Fäden und nur gestochenen Löchern eine ganz zarte Anmutung in Landschaften entstehen, die nur entdeckt, wer sich nah an die Bilder heranwagt und sich Zeit bei der Entdeckung lässt. Hauchfein sind auch die Schichten gespannter Fäden, aus denen Monika Thiele (*1966) ihre Bilder aufbaut. Träume, Alpträume und Sehnsüchte spiegelt sie in den von hinten ausgeleuchteten Szenen mit dreidimensionaler Wirkung. Dass sie nur aus Garnen in unterschiedlichen Rosétönen ein Porträt mit plastischer Wirkung schafft, macht Staunen.

14. Mi bis 17. September, Deutsches Textilmuseum, Andreasmarkt

(RP)
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