Krefeld Otto Brües - eine Stilanalyse

Krefeld · Die Neuveröffentlichung der Novelle "Schloss Moyland" von Otto Brües gibt Gelegenheit zu fragen: War er eigentlich ein guter oder ein schlechter Autor? Stellen wir die Frage nach seiner Nazi-Vergangenheit einmal zurück und folgen der Spur der Sprache.

 Der Künstler Jochen Stücke fertigte für die hübsche "Schloß Moyland"-Ausgabe Zeichnungen. Der Novelle ist ein vorzügliches Vorwort von Michaela Plattenteich vorangestellt.

Der Künstler Jochen Stücke fertigte für die hübsche "Schloß Moyland"-Ausgabe Zeichnungen. Der Novelle ist ein vorzügliches Vorwort von Michaela Plattenteich vorangestellt.

Foto: RP

Es ist so einfach nicht, sich dem Autor Otto Brües anzunähern - zu übermächtig ist die Frage, inwieweit er, der zur Nazi-Zeit zum Feuilletonchef und Literaturpreisträger aufstieg, Mitläufer, gar Täter war. Es ist aber am Ende eine Frage der Gerechtigkeit, ihn auch als Autor zu würdigen. Die jetzt neu herausgegebene Novelle "Schloß Moyland" gibt Anlass, einfach einmal zu lesen, zu gliedern, zu analysieren und zu fragen: Taugt diese Prosa etwas?

Erzählt wird von der Begegnung des französischen Philosophen und Aufklärers Voltaire mit Friedrich II., später der Große genannt, auf Schloss Moyland. Sie fand 1740 tatsächlich statt; Friedrich war gerade König geworden.

Die Erzählung ist zweigeteilt, und auch die Hälften sind klar strukturiert; die Achse liegt ungefähr in der Mitte der Novelle. Brües orientiert sich hier an Strukturen, die im literarischen Realismus des 19. Jahrhunderts bei Erzählern wie Theodor Storm oder Conrad Ferdinand Meyer bis zur Vollendung entwickelt wurden. Man kann auch sagen: Der Krefelder Autor kupferte, darin ganz Epigone, kräftig ab.

Im ersten Teil wird von Friedrichs Aufenthalt in Wesel erzählt; er liegt dort im Fieber und hat eine Vision: Beim Blick in einen Spiegel erkennt er erst seinen Vater, der ihn fürchterlich gequält hat, und dann in ihm sich selbst - "da schrie er auf, ein einziges Mal und später nie mehr in seinem Leben". Dies ist der Moment, in dem Friedrich die Grausamkeit des Vaters als Größe anerkennt. Der Vater, so heißt es, habe den "Staat und die Staatlichkeit ein- und ausgeatmet" - was er seinem Sohn an Fürchterlichem angetan hat, erscheint also gerechtfertigt als Staatsräson. Brües erzählt in dieser Szene, wie der junge Friedrich sein Amt innerlich annimmt und sich bereit macht, alles den Regeln der Macht unterzuordnen. In Teil zwei wird von der Begegnung mit Voltaire erzählt. Das Treffen ist eine auf drei Abende verteilte Eskalation der Entfremdung. Voltaire liest aus seinem Stück "Mahomet der Prophet", in dem Mahomet als rücksichtsloser Machtmensch dargestellt wird, der einen Rivalen ermorden lässt und in Kauf nimmt, dass der Täter zum Mörder am eigenen Vater wird - Mahomet tut dies auch, um eine Frau zu gewinnen. Die drei Leseabende sind geprägt durch Eklats: Am ersten Abend lässt der König den Dichter stehen, um der Geburt eines Fohlens beizuwohnen; Voltaires gekränkte Reaktion quittiert Friedrich mit dem Satz: "Als ob es nichts wäre, wenn ein Tier geboren wird." Am zweiten Abend reagiert Friedrich voller Empörung, als Voltaire einen der Untergebenen Mahomets mit Friedrichs Vater vergleicht. "Mein Vater", erwidert Friedrich, "der mich geschlagen hat, war ein großer Mann; ich wüsste nicht, dass er jemanden betrogen und hintergangen hätte; jedenfalls ist er mir zu schade, um mit einer solchen Figur verglichen zu werden." Der dritte Abend bildet den Höhepunkt dieser Reihe: Friedrich erklärt zum Ende des Stücks, als Mahomet endgültig als ruchloser Intrigant dasteht, kurz und knapp: "Was mich betrifft, ich bin auf der Seite Mahomets." In diesem Satz scheiden sich endgültig die Sphären der Macht und der Poesie mit ihren Idealen von Humanität und Schönheit. Ein Dreischritt: Erst zieht Friedrich das Naturhafte der Pferdegeburt der Dichtung vor; dann verteidigt er seinen Vater, schließlich bekennt er sich zur dunklen Seite der Macht. Der Literatur bleibt bestenfalls die Funktion als Fluchtraum: Der "welsche Dichter", so heißt es einmal, konnte die Härten der Realität "durch den Glanz seiner Verse für ein paar Stunden vergessen machen".

Stilistisch sticht in der Erzählung vor allem die Licht-Motivik hervor. Es lodert und flammt und loht unablässig. Im Zentrum steht die Spiegel-Szene als quasi hellster Moment der Erzählung: "Mitten in dem Spiegel glomm ein betörendes Licht" - Inbegriff des Selbstbekenntnisses zur Macht. Brües baut Unmengen von Lichtmotiven ein: Da huschen Kerzenschimmer, da öffnen sich "Schattengruben", da vollziehen sich immer wieder "Lichtspiele". Generell pflegt Brües einen bemüht gehobenen Stil, der durch eine Fülle überflüssiger Adjektive und Sinnwiederholungen geprägt ist, die wohl Intensität und dramatische Bewegtheit suggerieren sollen: Hitze ist "lodernd und flackernd", Flüstern ist leise, Wände sind steinern, Gärten sind "wohlbeschnitten und wohlgeordnet", Partituren ziervoll und ebenmäßig, Schießscharten schmal und Brüstungen nicht nur reich, sondern vielgegliedert. So geht das weiter; diese Prosa ist aufgebläht mit Überflüssigem, das wahlweise dramatisch oder edel klingen soll. Hier, im Stil, offenbart sich am deutlichsten die Zweitrangigkeit von Brües als Autor.

Auch über die Art, wie der Erzähler die Aussöhnung Friedrichs mit seinem grausamen Vater inszeniert, lässt sich lange streiten: Der Staat geht am Ende über alles; Herrscher werden als große Einzelne verherrlicht, deren Größe darin liegt, Humanität hinter sich zu lassen und alles dem Staat - besser: ihren Vorstellungen von Staatlichkeit - unterzuordnen. Brües findet das doch irgendwie groß - die Größe, es erzählend eindeutig zu verurteilen, hat er jedenfalls nicht.

So landet man schließlich doch wieder in der Zeit, in der diese Erzählung veröffentlicht wurde: Die Nazis mussten diese Novelle, in der Friedrich die Grausamkeiten seines Vaters am Ende vor der Geschichte rechtfertigt, nicht fürchten. Trotz Voltaire.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort