Krefeld Pflegeheime: Bedarfsplanung ist umstritten

Krefeld · Der noch neue Pflegebedarfsplan der Stadt Krefeld trifft im Rat der Stadt auf unterschiedliche Zustimmung. Stadtverwaltung, CDU und Grüne sehen in ihm ein Instrument, um den Bau neuer Altenpflegeheime in Krefeld steuern und Folgekosten aus dem Sozialetat der Kommune begrenzen zu können. SPD und FDP hingegen kritisieren den Pflegebedarfsplan und glauben, dass damit Investoren verschreckt würden. In der Diskussion geht es drunter und drüber, werden Äpfel mit Birnen verglichen.

 Die Stadt will die Neuansiedlung von Altenpflegeheimen in Krefeld mit einer Bedarfsplanung steuern.

Die Stadt will die Neuansiedlung von Altenpflegeheimen in Krefeld mit einer Bedarfsplanung steuern.

Foto: Thomas Lammertz

Wer zahlt die Kosten für Pflege, Unterbringung und Verpflegung in einer Altenpflegeeinrichtung?

Die Kosten für Unterkunft und Verpflegung zahlt der Bewohner - unter Umständen mit Unterstützung der Angehörigen. Dazu muss der Bewohner neben der Rente nötigenfalls das Ersparte oder auch sein Sachvermögen wie Immobilien einsetzen. Die Pflegekosten zahlt die Pflegversicherung. Sollte ein Einkommen wie die Rente oder/und das Vermögen des Bewohners nicht oder nicht mehr ausreichen, zahlt neben der Pflegeversicherung weiterhin eventuell der Angehörige und ansonsten die Stadt als Sozialhilfeträger mit Pflegewohngeld und Sozialhilfe für den noch fehlenden Restbetrag.

Muss die Stadt die von Pflegeheimbetreibern festgesetzten Pflegeheimkosten für Sozialhilfeempfänger in jedem Fall bezahlen?

Nein. Die Stadt beteiligt sich bei Bedarf lediglich an den am so genannten Regelsatz orientierten Pflegeheimkosten.

Was will die Stadt mit dem Pflegebedarfsplan erreichen?

Sie will ein Überangebot vermeiden und die Stadtteile (Quartiere) benennen, in denen es einen Bedarf an Altenpflegeplätzen gibt. Die Stadt vermutet, dass ein Überangebot an Plätzen einen Reiz ausübt, die heimische Umgebung zu verlassen und eine stationäre Pflegeeinrichtung eher aufzusuchen. Ferner könnten Senioren aus Nachbarkommunen in Krefelder Einrichtungen einziehen.

Müsste die Stadt Krefeld für die Sozialhilfekosten und die Pflegewohngeldkosten der Zugezogenen aufkommen?

Nein. Die Sozialämter aus den Gebietskörperschaften, in denen der Bewohner zuletzt seinen Wohnsitz hatte, zahlen die Sozialkosten. Die Quote derjenigen, die aus Nachbarkommunen nach Krefeld in ein Altenheim ziehen, liegt konstant unter 15 Prozent.

Kann die Stadt Krefeld mit dem Pflegebedarfsplan festlegen, wo, in welchen Quartieren gebaut werden darf?

Ja, das kann sie festlegen. Wenn die baurechtlichen Gegebenheit vorhanden sind, kann sie damit aber nicht verhindern, dass ein Investor in einem anderen Quartier eine Altenpflegeeinrichtung baut.

Hat die Stadt die Möglichkeit, sich in solchen Fällen nicht an den Sozialkosten zu beteiligen?

Zum Teil. Die Stadt Krefeld muss den Bewohnern, die vorher schon in Krefeld gelebt haben, Sozialhilfe zahlen. Allein beim Pflegewohngeld kann sie eine Auszahlung ablehnen. Das Pflegewohngeld ist eine Art Investitionsförderung.

Wenn die Stadt die Zahlung des Pflegewohngelds verweigert, wer kommt dann für die Finanzierungslücke auf?

Wahrscheinlich muss die Stadt dann höhere Sozialhilfekosten zahlen. Eine entsprechende Rechtsprechung dazu gibt es noch nicht, da die Gesetzgebung für die Bedarfsplanung erst seit dem 16. Oktober 2014 in Kraft getreten ist.

Wie viel Sozialhilfe und Pflegewohngeld muss die Stadt zur Finanzierung der stationär untergebrachten Bewohner in Pflegeeinrichtungen bisher aufbringen?

Im vergangenen Jahr hat die Stadt 13 Millionen Euro an Sozialhilfe und 8,7 Millionen Euro an Pflegewohngeld zahlen müssen. 48 Prozent der Bewohner waren Selbstzahler, die ohne städtischen Anteil ihre Pflege und Unterbringung finanzieren konnten. Bei 52 Prozent hat die Stadt sich an den Kosten für Unterbringung und Verpflegung beteiligen müssen.

Ist es für die Stadt teurer, einen Sozialhilfeempfänger, der in einer Wohnung lebt, zu unterstützen, als einen, der in einer Pflegeeinrichtung lebt?

In der Regel kostet die ambulante Pflege für die Stadt nur die Hälfte dessen, was sie für stationäre Pflege zuschießen muss.

Wer trägt eigentlich das wirtschaftliche Risiko nach dem Bau einer Seniorenpflegeeinrichtung?

Das größte Risiko trägt der Betreiber der Einrichtung. In der Regel wird ein Projektentwickler bei der Stadt vorstellig, um ein Altenheim zu bauen. Dafür sucht er einen Investor, der den Bau der genau reglementierten Immobilie finanziert. Der Investor als Eigentümer des Pflegekomplexes schließt einen Mietvertrag mit einem Betreiber, der die Altenpflegeeinrichtung betreibt. Derzeit gibt es in der Stadt fünf private Träger, 22 gemeinnützige und vier öffentliche Träger (Stadt).

Wo in der Stadt gibt es derzeit ein Überangebot und wo ein Defizit an stationären Pflegeplätzen?

Laut der so genannten "Verbindlichen Bedarfsplanung der Stadt Krefeld 2015 bis 2018" gibt es in den Einzugsbereichen Stadtmitte, Cracau, Dießem/Lehmheide, Inrath/Kliedbruch, Kempener Feld/Baakeshof, Benrad-Nord, Traar, Verberg und Gellep-Stratum eine deutliche Überdeckung. In Benrath-Süd, Fischeln, Forstwald, Hüls, Hülser Berg, Uerdingen, Gartenstadt und Bockum ist eine nicht ausreichende Ausstattung mit Plätzen zu verzeichnen.

Wie viele Plätze gibt es und wie entwickelt sich laut Stadtverwaltung der Bedarf?

Das Fachamt geht vom einem Pflegeplatzbedarf in diesem Jahr von 2100 aus, der bis 2018 auf 2280 steigt. Bis zum Ende des Jahres steigt die Zahl der tatsächlich vorhandenen vollstationären Plätze auf 2249.

Welche Vorteile hätte es, wenn zusätzliche Altenpflegeeinrichtungen entstehen würden?

Es würden zusätzliche Arbeitsplätze in der Pflege, Verwaltung, Hauswirtschaft, im Sozialdienst und so weiter entstehen. Grob veranschlagt entfällt auf einen Bewohner statistisch ungefähr ein Arbeitsplatz. Darüber hinaus partizipieren andere Unternehmen wirtschaftlich am Betrieb - zum Beispiel Wäschereien, Catering-Service, Friseure, Apotheken, Taxen. Die Stadt nimmt direkt oder indirekt zusätzliche Steuern ein. Besucher und Beschäftigte steigern den Umsatz des örtlichen Handels.

Welche Nachteile hätte es, wenn zusätzliche Altenpflegeeinrichtungen entstehen würden?

Die Einrichtungen benötigen eine bestimmte Belegungsquote, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Die liegt ungefähr bei 80 bis 85 Prozent. Sollten zusätzliche Plätze angeboten werden, könnte es sein, dass die bestehenden Einrichtungen Bewohner an neue Altenpflegeheime verlieren und nicht mehr wirtschaftlich arbeiten können, weil sie die Belegungsquote nicht mehr erreichen. Insofern wundert es nicht, dass die Wohlfahrtsverbände den Beschluss der Stadt begrüßt haben, einen Bedarfsplan aufzustellen.

Welche Konsequenzen könnten sich noch ergeben?

In der Pflegebranche herrscht aktuell ein Fachkräftemangel. Die zusätzlichen, neuen Einrichtungen würden den Effekt nach Meinung der Krefelder Stadtverwaltung verstärken, das sich die Betreiber in der Folge gegenseitig das Personal abwerben.

Ist das Aufstellen eines Bedarfsplans ein Eingriff in den Wettbewerb und den Markt?

Sicherlich, aber laut Stadtverwaltung aus gutem Grund. Es gilt, im Interesse der Bewohner den Betreibern solcher Einrichtungen die Möglichkeit zu sichern, wirtschaftlich arbeiten zu können. Ferner kann die Kommune damit aufzeigen, in welchen Quartieren Altenpflegeeinrichtungen wünschenswert sind.

Ist der Bedarfsplan eher ein stumpfes oder ein scharfes Schwert, in der Absicht, die Ansiedlung von Altenpflegeeinrichtungen zu steuern und zu regulieren?

Die Antwort liegt irgendwie in der Mitte. Letztlich lässt sich der Bau und auch eine mögliche Beteiligung an den Kosten der Bewohner aus Krefeld durch Sozialhilfe nicht verhindern. Gleichwohl ist das Signal an Investoren, ein Neubau sei an dieser Stelle, in diesem Quartier gewünscht oder eben nicht gewünscht durchaus kraftvoll.

Wie konkret sind die Vorhaben möglicher Investoren?

Die Stadtverwaltung ist als Heimaufsicht (heute heißt das Beratungs- und Prüfbehörde) von Beginn an zu unterrichten und einzubinden. Das passiert oft nicht. Tatsächlich erfahren die Mitarbeiter von angekündigten Vorhaben bisweilen aus den Medien. Eine Unterscheidung zwischen dem Bau von Seniorenwohnungen, betreutes Wohnen, generationsübergreifendes Wohnen, barrierefreies Wohnen oder Altenpflegeheimen findet überraschend oft nicht statt, berichtet die Stadtverwaltung.

Fazit: Viele reden mit, aber nur wenige wissen offenbar Bescheid. Die so genannte verbindliche Bedarfsplanung kann nichts verhindern, ist aber gleichwohl sinnvoll, um Orientierung über die Entwicklung im Bereich der Altenpflege zu geben.

(RP)
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