Krefeld Polizei besorgt über Verbrecherjagd bei Facebook

Krefeld · Fast täglich werden bei Facebook Straftaten oder Verdachtsfälle geschildert, ohne dass die Polizei informiert wird. Sogar Belohnungen werden ausgesetzt, Tätern wird Rache angedroht. Verlieren die Bürger den Glauben an den Staat?

Krefeld: Polizei besorgt über Verbrecherjagd bei Facebook
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Mittlerweile lassen sich fast täglich Beispiele dafür finden, dass Facebook-Nutzer verdächtige Personen, Vorgänge oder gar Straftaten beschreiben, die Facebook-Gemeinschaft warnen, manchmal Racheandrohungen aussprechen oder Belohnungen ausloben, ohne die Polizei zu informieren. Die Polizei sieht diese Entwicklung kritisch, die Staatsanwaltschaft warnt, dass Selbstjustiz in Deutschland strafbar ist.

Beispiele, gesammelt in den vergangenen Wochen, die hier anonymisiert erzählt werden: Ein Mann lobt eine Belohnung über 3000 Euro aus, nachdem sein Freund bei einem Raubüberfall verletzt wurde. Nach einer Schlägerei vor der Kufa, bei der ein Mann verprügelt wurde, suchen Bekannte via Facebook Zeugen. In Oppum beobachten Leute verdächtige Personen, die wirken, als spähten sie Häuser aus; das Verhalten wird bei Facebook präzise beschrieben, es wird gewarnt; die Beobachtungen werden diskutiert; erst im Laufe der Debatte fragt jemand, ob die Polizei informiert sei - der Erstinformant räumt ein, das noch nicht getan zu haben, weil er erst einmal die Menschen in Oppum warnen wollte. In einem weiteren Fall droht ein Mann den "Bastarden", die seine Freundin vor ihrer Haustüre geschlagen und ausgeraubt hätten, Rache an. Der Mann beschreibt die Täter ("zwei südländische Männer und eine scheinbar deutsche junge Frau"). Wie sich herausstellt, wurde die Polizei über den Vorfall nicht informiert; sie hat erst auf Nachfrage unserer Redaktion zu ermitteln begonnen.

Die Polizei sieht diesen Trend mit Sorge. "Wir sehen auch häufig bei Facebook Berichte über Straftaten und Verkehrsunfälle, auch solche, die bei der Polizei nicht bekannt sind", erklärte eine Sprecherin auf Anfrage. Sie warnt auch davor, solche Berichte ungeprüft für bare Münze zu nehmen. Bemerkenswert sei, dass diese Berichte nicht von den Betroffenen kämen, sondern von Bekannten, Verwandten etc., die ihre Informationen nur aus zweiter oder dritter Hand hätten. Folglich handele es sich meistens auch nur um einen Teil der Wahrheit, betont sie weiter. "Wir sehen diese Entwicklung kritisch." Der Verbreitungsgrad von Gerüchten über angeblich oder tatsächlich geschehene Straftaten sei durch die sozialen Netzwerke deutlich gestiegen. "Die Anonymität im Internet senkt die Hemmschwelle, Dinge zu berichten, die man selber nicht miterlebt hat." Wobei anzumerken bleibt, dass viele dieser Berichte keineswegs anonym oder schlichtweg falsch sind.

Problematisch wird es auch, wenn bei Facebook nicht nur private Belohnungen ausgesetzt werden, sondern Rache angedroht wird. Belohnungen sind nach Auskunft der Krefelder Staatsanwaltschaft zulässig - verboten sei aber "Selbstjustiz". Es komme dabei auf die Formulierung an: Allgemein gehaltene Aussagen sind unproblematisch; problematisch werden Ankündigungen konkreter Gewaltausübung. Die Frage bleibt, ob der Trend, Facebook für private Verbrecherjagden zu benutzen, nur auf die Technik zurückzuführen ist, darauf also, dass es ein neues, schnelles Mitteilungsmedium gibt. Es stellt sich auch die Frage, ob dahinter nicht ebenso wachsende Frustration bei den Bürgern über den Mangel an Schutz durch den Staat steht.

Dafür lassen sich in Krefeld zwei beunruhigende Beispiele nennen. Zum einen ist da die Flut an Einbrüchen. In Krefeld ist das Problem so groß, dass die Stadt im neuesten "Spiegel" Erwähnung findet. In der Titelgeschichte zum Thema Einbruch heißt es: "Unter den zehn am stärksten von Einbruch betroffenen kreisfreien Städten befanden sich im Jahr 2015 Dortmund, Essen, Herne, Gelsenkirchen und Krefeld." Die "Spiegel"-Autoren bescheinigen dem Land NRW zudem, dass "der Verfolgungsdruck durch die Polizei eher gering ist".

Das stimmt nun für Krefeld nur bedingt; zum einen übt die Krefelder Polizei über Schwerpunktkontrollen an Ausfallstraßen regelmäßig hohen Fahndungsdruck auf reisende Einbrecher aus; zum anderen dauert es nach Auskunft der Polizei nur Minuten, bis eine herbeigerufene Streife am Ort ist. Dennoch bleibt es bei dem Gesamtbild: Der Mobilität von Einbrecherbanden hat die Polizei nicht viel entgegenzusetzen.

Auch der zweite Trend ist beunruhigend: Es gibt in Krefeld zuletzt auffällig viele Meldungen über brutale Raubüberfälle - Meldungen vom Typ "Täter überfallen Opfer, schlagen es nieder und rauben es aus". Der Eindruck, den man als Bobachter hat: Es gibt keine Eskalationsstufen mehr; es wird sofort zugeschlagen; es ist, als verwischen die Grenzen zwischen der Lust an Gewalt und dem Ziel zu stehlen. Die Krefelder Polizei will sich auf die Debatte, ob Bürgerwehr-Tendenzen bei Facebook mit Misstrauen in die Wehrhaftigkeit des Staates zu tun haben, nicht einlassen: "Warum die Betroffenen selbst die Polizei nicht informiert haben, darüber lässt sich nur spekulieren. Der Verdacht, die Polizei täte nichts oder zu wenig, lässt sich nicht belegen. Fakt ist, wenn die Polizei zu einer Straftat gerufen wird, kommt sie auch."

(RP)
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