Krefeld Protestwelle gegen neue Bilanzregeln für Kirchen

Krefeld · Die evangelischen Gemeinden sollen Kirchen, die nach 1948 erbaut sind, 100 Jahre lang abschreiben. Die Belastung wäre groß, das theoretische Ziel - Neubau in 100 Jahren - gilt als lebensfremd.

 "Es ist nicht Ziel der Kirche, in 100 Jahren alte Kirchen durch neue zu ersetzen", sagt Burkhard Kamphausen, Superintendent des Kirchenkreises Krefeld-Viersen.

"Es ist nicht Ziel der Kirche, in 100 Jahren alte Kirchen durch neue zu ersetzen", sagt Burkhard Kamphausen, Superintendent des Kirchenkreises Krefeld-Viersen.

Foto: Lammertz, Thomas

Die evangelischen Gemeinden treiben zurzeit gleich zwei Probleme um: Zum einen steigt die Zahl der Austritte auch bei älteren Jahrgängen. Zum anderen bereitet den Kirchmeistern eine von der Landeskirche angestrebte Regelung für die Abschreibung kirchlicher Gebäude Sorge. "Wenn die Landeskirche dabei bleibt, schreiben alle Gemeinden in zehn Jahren rote Zahlen", sagte Wilfried Hendrichs, Finanzkirchmeister der Pauluskirche.

Hintergrund sind neue Abschreibungsvorschriften, die im Zuge des des Neuen Kirchlichen Finanzwesens (NKF) eingeführt wurden. Demnach sollen Kirchen, die nach 1948 erbaut wurden, 100 Jahre lang abgeschrieben werden. Das heißt: Die Gemeinen müssen jährlich einen Betrag in ihrem Haushalt buchen - mit dem theoretischen Ziel, die Kirche nach einem Jahrhundert neu zu bauen. Die Abschreibung bedeutet für die Gemeinden eine erhebliche finanzielle Belastung.

Die Paulusgemeinde etwa müsste für Kirche und Gemeindehaus jährlich 25 000 Euro für die Abschreibung blockieren, erläutert Kirchmeister Hendrichs. "Das Geld, das wir ohnehin für die Instandhaltung ausgeben, mindert den Betrag nicht."

Besonders heftig trifft es Gemeinden, die wie Alt-Krefeld mehrere Standorte umfassen. Die der Abschreibung zugrunde gelegten Werte der Gebäude wurden unter anderem aufgrund der Quadratmeterzahl ermittelt. Dazu sagt René Wallich, Kirchmeister der Gemeinde Alt-Krefeld: "Für eine Gemeinde wie Alt-Krefeld, die sich aus drei Bezirken zusammensetzt und eine Flächenausdehnung von der City über die Stadtteile Schicksbaum, Lindenthal bis hin zum Forstwald hat, summiert sich der Betrag der Abschreibungen mittlerweile auf zirka die Hälfte der Kirchensteuereinnahmen der Kirchengemeinde - Geld, das Jahr für Jahr im Haushalt erwirtschaftet werden soll und nicht der Arbeit mit den Menschen dient." Das theoretische Ziel, eine Kirche nach 100 Jahren neu zu bauen, empfindet er als lebensfremd: "Es ist doch nicht davon auszugehen, dass wir nach 100 Jahren alle Kirchen neu erbauen. Schließlich sagen die Prognosen stark sinkende Gemeindegliederzahlen voraus."

Burkhard Kamphausen, Superintendent des Kirchenkreises Krefeld, teilt die Kritik: "Wir übernehmen ein kaufmännisches Denken, das auf unser Unternehmen Kirche, wenn man es denn so nennen will, nicht zutrifft. Es ist nicht ein Unternehmensziel der Kirche, in 100 Jahren alte Kirchen durch neue zu ersetzen."

Gegen die Abschreibungsregelung formiert sich Widerstand. "Die Gemeinden möchten erreichen, dass alle Kirchen als abgeschrieben mit einem Euro geführt werden dürfen", sagt Volker Hendricks, Pfarrer der Pauluskirche und Vorsitzender des Evangelischen Gemeindeverbandes Krefeld, "wenn die Landeskirche uns nicht entgegenkommt, wollen wir das Thema vor die Synode tragen." Parallel zu diesem Problem registriert die Kirche einen Anstieg der Austrittszahlen: Traten im Kirchenkreis Krefeld-Viersen 2012 noch 575 Menschen aus der Kirche aus, waren es 2013 schon 919, in 2014 sind es bis zum Mai bereits 497; hochgerechnet würden es Ende des Jahres 1193 sein. Für das laufende Jahr sieht Superintendent Kamphausen mehrere Gründe für den Trend: "Auch uns hat die Geschichte um den Limburger Bischof Tebartz-van-Elst geschadet", sagt er - der ist zwar katholisch, doch wird bei solchen Affären auch die evangelische Kirche mit abgestraft. "Das wird dann alles in einen Topf geworfen", sagt Kamphausen, "wir haben auch schon Mitglieder aufgenommen, die eingetreten sind, weil sie den neuen Papst so gut finden."

Weitere Ursache können Briefe der Banken an alle Sparer sein, in denen mitgeteilt wird, dass demnächst die Banken Kapitalertragssteuern einbehalten und an die Kirche abführen werden (wir berichteten). Die Steuer gab es immer schon - neu ist, dass die Banken sie nun an der Quelle einbehalten. "Für uns ist neu, dass auch der 70-jährige Handwerksmeister seinen Austritt erklärt. Möglicherweise haben die Leute Angst um ihrer Altersversorgung", vermutet Kamphausen.

(RP)
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