Krefeld Rituelles Bad - Synagoge jetzt mit Mikwe

Krefeld · Als eine von 30 jüdischen Gemeinden in Deutschland hat die Synagoge eine Mikwe. Der Bau ist wegen religiöser Regeln äußerst kompliziert. Ein amerikanischer Rabbi hat das Projekt als weltweit führender Experte begleitet.

 Rabbi Wagner und seine Frau Rachel; sie betreut die Mikwe, begleitet die Frauen und achtet etwa darauf, dass die Badenden einmal wirklich vollständig unter Wasser sind; auch die Haare müssen komplett mit Wasser bedeckt sein. Das Wasser ist temperiert, das Bad ist auch körperlich entspannend. Die Frauen nehmen sich Zeit dafür. n

Rabbi Wagner und seine Frau Rachel; sie betreut die Mikwe, begleitet die Frauen und achtet etwa darauf, dass die Badenden einmal wirklich vollständig unter Wasser sind; auch die Haare müssen komplett mit Wasser bedeckt sein. Das Wasser ist temperiert, das Bad ist auch körperlich entspannend. Die Frauen nehmen sich Zeit dafür. n

Foto: Lothar Strücke

Das Projekt ist in der jüdischen Gemeinde Europas, für ganz Deutschland und mit Blick auf die deutsche Geschichte herausragend: Die Krefelder Synagoge verfügt nach fast zehnjähriger Vorbereitung über eine Mikwe, also ein rituelles Bad: "Die Mikwe ist eine sehr alte Tradition und hat im Judentum identitätsstiftende Kraft", sagte gestern Rabbi Yitzchak Mendel Wagner im Gespräch mit unserer Redaktion. Das Projekt war finanziell und religiös ein Kraftakt:

"Eine Mikwe zu bauen ist eine der kompliziertesten Angelegenheiten im jüdischen Recht", sagt Wagner, "verstößt man gegen eine Regel, wird eine Mikwe schnell unkoscher." Es geht eben nicht um ein Bad zur Körperhygiene, sondern um die "Reinigung der Seele", betont er.

So hat der US-amerikanische Gelehrte Rabbi Katz, der im Judentum weltweit als führender Experte für den Mikwe-Bau gilt, das Krefelder Projekt begleitet. Katz lebt in Brooklyn; wegen der Zeitverschiebung haben die meisten Telefonate mit ihm nachts stattgefunden: "Es gab viele schlaflose Nächte", sagt Wagner lächelnd und bekräftigt, dass ein einfacher Rabbi das komplizierte Geflecht an Regeln nicht überblicken könne.

Es gebe auch nicht einfach die eine Stelle in der Heiligen Schrift, die sich zur Erklärung der Mikwe zitieren ließe; die Tradition des Ritualbades ist vielmehr in der Überlieferung aus Thora und Talmud weit verzweigt verankert. Sicher ist aber, dass die Mikwe-Tradition tief im Judentum verankert ist - wo immer religiöses Leben unterdrückt werden sollte wie etwa in der ehemaligen Sowjetunion, haben Juden versucht, das rituelle Bad auch ohne Mikwe in Bächen und Flüssen zu vollziehen, berichtet Wagner.

Eine der wichtigsten Regeln betrifft das Wasser. Der Begriff Mikwe geht zurück auf das hebräische Wort für "zusammenfließen", und so muss ein Mikwe-Bad aus fließendem Wasser gespeist sein, am besten Regenwasser (es geht auch Grund- oder Flusswasser). Das Wasser darf beim Prozess des Auffangens an keiner Stelle zum Stehen kommen. So gibt es bei den Rohren, die das Regenwasser vom Dach der Synagoge in den Keller ins Mikwe-Becken führen, keine Krümmung, in der das Wasser ruhen könnte. Sogar die Schrauben für den schrägen Dachaufbau, mit dem Regen aufgefangen wird, sind so mit Silikon versiegelt, dass sich kein Tropfen an einer Schraube verfangen und stehenbleiben kann.

Die Krefelder Mikwe ist ein reines Frauenbad; andernorts gibt es auch Mikwen für Männer. Im Judentum ist Frauen der Besuch einer Mikwe nach ihrer Periode vorgeschrieben. Wagner betont allerdings, dass es in der Hochschätzung der Mikwe keinen Gegensatz zwischen liberalem und konservativem Judentum gebe. Die Mikwe-Tradition sei tief in der jüdischen Identität verankert. Schon der Tempel in Jerusalem oder die im ersten Jahrhundert vor Christus errichtete Festung Massada hätten Mikwen gehabt.

Die Idee, auch in Krefeld eine Mikwe zu errichten, geht auf den heutigen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Michael Gilad, zurück. Er hat schon bei der Planung der neuen Synagoge darauf gedrängt, die bautechnischen Voraussetzungen zur Anlage einer Mikwe zu legen. 2007 fand dann in Paris eine große Rabbinerkonferenz des RCE (Rabbinical Centre of Europe) statt, berichtet Wagner. Dort wurde beschlossen, europaweit in 25 Gemeinden den Bau einer Mikwe anzuregen. Krefeld wurde als Standort ausgewählt und erhielt eine Anschubfinanzierung über 45.000 Euro. "Es gibt viele schöne Geschichten über Spenden vieler Menschen, die den Bau ermöglichten", sagt Wagner resümierend.

Die Nachricht von der Vollendung der Mikwe ist auch historisch bewegend: Während in Deutschland viele Bauten jüdischen Lebens vernichtet wurden - zuletzt unter den Nazis in der Pogromnacht am 9. November 1938, der auch die Krefelder Synagogen zum Opfer fielen -, blieben doch einige wertvolle historische Mikwen erhalten; auch deshalb, weil sie unterirdisch angelegt waren. Das bekannteste Beispiel in der Region ist die Mikwe in Köln auf dem Platz vor dem alten Rathaus, deren Baugeschichte bis ins 8. Jahrhundert zurückreicht. Eines der schönsten und bewegendsten Beispiele ist im sogenannten "Judenhof" in Speyer zu sehen. Dort ist die im 12. Jahrhundert gebaute Synagoge der mittelalterlichen jüdischen Gemeinde nur in archäologischen Resten erhalten, die aus derselben Zeit stammende prachtvolle romanische Mikwe aber sehr gut - als sei es ein Symbol, dass die Geschichte des deutschen Judentums trotz aller Anfeindungen, Pogrome und Verbrechen nicht enden wird.

(RP)
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