Krefeld Salat - Geschichte eines erstaunlichen Gemüses
Krefeld · "Da haben wir den Salat" ist ernährungs- technisch ein Jubelruf: Er wird immer beliebter. Die Herstellung ist eine landwirtschaftliche und logistische Meisterleistung.
Wolfram Siebeck selig, der legendäre Restaurantkritiker der "Zeit", hat einmal über seine Kindheit berichtet, seine Mutter habe Blumenkohl "erbarmungslos" (er schrieb wirklich erbarmungslos) in Bechamelsoße ertränkt. Dennoch hat Siebeck diesen Blumenkohl geliebt - als Kind, denn er fand die Soße erbarmungslos lecker. Längst ist der Blumenkohl-Verbrauch auf dem Rückzug; trotz erbarmungslos leckerer Soßen. Es gibt einen starken Trend zu Rohkost. Das jedenfalls ist die Beobachtung von Landwirt Heinz Stoffers, der früher auch Blumenkohl angebaut hat. Da das köstliche Gemüse immer weniger nachgefragt wurde, hat er sich auf Salate und Kohlrabi spezialisiert. "Die Ernährungsgewohnheiten sind andere geworden", sagt er, "Salate sind immer beliebter. Das sieht man auch daran, dass Lebensmittelgeschäfte heute selbstverständlich Mischungen mit Rohkostsalaten anbieten."
Im Gespräch mit Stoffers wird rasch klar, dass Salatanbau eine Herausforderung für sich ist. Salat ist leicht verderblich; alle Abläufe müssen präzise, schnell und auf die halbe Stunde genau mit dem Wetter abgestimmt sein. "Wenn das Wetter wechselhaft ist, müssen wir manchmal innerhalb von Minuten entscheiden: Jetzt wird geerntet", berichtet Stoffers. Einfach warten, bis das Wetter stabil ist, geht in seiner Sparte nicht. "Wir haben uns auf die Belieferung regionaler Kunden spezialisiert", sagt er; seine Abnehmer sind Unternehmen wie Aldi, Lidl, Edeka oder Kaiser's. Die Taktung von Bestellung und Lieferung ist eng, weil die Ware frisch sein soll: "Die Geschäfte können nachmittags abschätzen, wie viel Salat sie brauchen, und ordern dann; wir liefern frisch innerhalb von 24 Stunden", sagt Stoffers. Um liefern zu können, müssen er und seine Leute eben auch minütliche Entscheidungen treffen: Ernten oder eben pflanzen - genau jetzt! "Ohne gärtnerisches Händchen geht es nicht, sagt der gelernte Gemüsebaugärtner, "man braucht ein Gefühl für die Pflanzen und den Boden." Die Saison dauert von Mai bis mindestens Oktober, Salat kann auch bis in den November geerntet werden.
Auch die Maschinen sind hoch spezialisiert. Das Gespräch mit Stoffers findet auf einem halb abgeernteten Feld mit Lollo Biondo statt. Während wir reden, schiebt sich an uns im Schneckentempo eine Erntemaschine vorbei: hinten ein Gefährt mit den bekannt breiten, den Boden schonenden Reifen; vorne ein Zelt, in dem Erntearbeiter Salat schneiden und in Kisten deponieren, die gleich per Fließband abtransportiert werden.
"Früher waren die Arbeiter Wind und Wetter ausgesetzt und mussten die Kisten auch noch schleppen; heute sind sie geschützt, und das Kistentragen entfällt; das sind große Erleichterungen", sagt Stoffers. Wie so oft im Landbau, kommen die Arbeiter aus Osteuropa, vor allem aus Rumänien und Polen. "Sie finden hier niemanden, der diese Arbeit macht", sagt Stoffers.
Was beim Schneiden der Salate so einfach aussieht, ist wie immer schwieriger, als es aussieht. "Der Schnitt, mit dem der Salatkopf geerntet wird, darf nicht zu tief und nicht zu hoch sitzen", erläutert Christiane Stoffers, Ehefrau von Heinz. Sitzt der Schnitt zu tief, ist der Strunk zu groß und oft mit Erde behaftet; sitzt er zu hoch, verliert man wichtige Blätter, und der Kopf wirkt deformiert. Beide Effekte sind unerwünscht; die Salate, die in den Geschäften landen, müssen rund und appetitlich sein.
Darum werden die frisch geernteten Köpfe noch auf dem Feld in einer weiteren Station mit Wasser abgespritzt; vor allem die Schnittstelle, denn dort tritt Pflanzenmilch aus, die sich, wenn sie bleibt, gelblich verfärbt. Auch das würde das frische Bild des Salatkopfes trüben. Nach dieser Prozedur werden die Salate eingetütet, gescannt und gehen locker gesetzt in Kisten auf den Weg zum Kunden. Kein Schmu also, Stoffers' Salate sind in den Geschäften wirklich frisch. Wo regional draufsteht, ist auch regional drin.
Mittlerweile hat sich neben Heinz und Christiane auch noch Sohn Matthias eingefunden. Er hat wie sein Vater eine Ausbildung zum Gemüsebaugärtner gemacht und wird im Herbst auf die Meisterschule gehen. Mutter, Vater, Sohn - auch das ist im Landbau oft so; die Betriebe sind Familienbetriebe. Schon Stoffers' Vater war Landwirt, die Tradition wird in dritter Generation fortgesetzt. Vielleicht ist es ja so, dass das Ganze ansteckend ist, eine Welt für sich, die - aller Technik und Betriebswirtschaft zum Trotz - naturnah und besonders ist: Das Gespräch mit der Familie Stoffers fand um kurz nach acht Uhr morgens statt; es hat sich eine halbe Stunde Zeit gefunden. Eigentlich, sagt Vater Stoffers irgendwann, war man spät dran. Wer so früh draußen ist und mit Sonne, Wind und Regen lebt, ist wohl irgendwann für Bürojobs nicht mehr zu haben.