Krefeld Schlag gegen Callcenter-Mafia

Krefeld · Drei Chefs und 35 Mitarbeiter haben in einem Krefelder Callcenter jahrelang ältere Leute am Telefon betrogen. Zehntausende erpressten sie mit Gewinnspiel-Teilnahmen, zu denen die Opfer niemals die Einwilligung gegeben hatten. Gestern lieferte die Polizei alle Hintergründe zur Tat.

Die Haupttäter selbst machten sich die Finger nicht schmutzig; sie fuhren mit dicken Schlitten durch die Straßen Krefelds, lebten in Luxus-Immobilien und traten in Gastronomiekreisen als ehrenwerte Geschäftsleute auf. Drei Männer aus Krefeld, 25, 30 und 43 Jahre alt, haben mit einem Gewinnspiel-Callcenter jahrelang zehntausende Bundesbürger betrogen. Die schmutzige Telefonarbeit ließen sie von Callcenter-Agenten verrichten — Hausfrauen, Schüler, Studenten, die für 5 bis 7 Euro Prämie pro Vermittlung ahnungslose Gesprächspartner zu betrügen versuchten. Am Dienstagmorgen ließ die Krefelder Polizei dieses betrügerische Netzwerk hochgehen, das die polizeiliche Ermittlungskommission "EK Call" drei Monate lang beobachtet hatte. Sie durchsuchte fünf Privatwohnungen, zwei Firmen und ein Callcenter. "Wir hatten alle Fakten zusammen und mussten jetzt zuschlagen", sagte gestern Einsatzleiter Jochen Fier.

Das Medienaufgebot im Polizeipräsidium am Nordwall im Pressesaal "Wilhelm Elfes" war gestern um 13.30 Uhr so groß wie sonst nur bei Mordfällen. Noch kommt es selten vor, dass Polizei und Staatsanwaltschaft im Internet-Milieu einen so großen Fisch an der Angel halten. Für diesen Fang war großer personeller Einsatz nötig: Polizeipräsident Rainer Furth hatte im "EK Call" 15 Mitarbeiter gebündelt. Er sagte gestern sichtlich zufrieden: "Für uns ist die Arbeit nicht beendet, jetzt suchen wir nach weiteren Verbindungen."

Das "EK Call" gewährte in der Pressekonferenz mit Bildern einen Einblick in das Innenleben des Callcenters, das mitten in der Krefelder Innenstadt liegt: im Erdgeschoss ein dunkler kleiner Raum, Mitarbeiterplätze mit Trennwänden, pro Tisch vier Telefone. "Hühnerstallniveau" nannte das Einsatzleiter Jochen Fier. Seine Truppe hatte das Callcenter in den frühen Morgenstunden des Dienstags durchsucht, dabei 60 Computer mit Daten in einer Gesamtmenge von 74 Gigabyte (15 Millionen Einzeldateien) beschlagnahmt.

Bis zum Gerichtsprozess werden noch Monate vergehen. Staatsanwalt Thomas Pelka, der den Fall zur Anklage gebracht hat, muss nun bewerten, ob neben den drei Haupttätern auch die eigentlichen Callcenter-Agenten belangt werden können. "Auch sie sind Mittäter", sagte Pelka gestern. Zur Motivation ließen die drei Haupttäter, von denen der 30-Jährige der Chef gewesen sein soll, die Telefonisten sogar in Teams gegeneinander antreten, um sie zu möglichst vielen betrügerischen Telefonaten zu animieren.

Besonders perfide ist die Gesprächsstrategie, mit der die Callcenter-Agenten ihre Opfer zu betrügen versuchten. Sie erhielten von ihren Chefs einen eigenen "Gesprächsleitfaden", der Hinweise gab, wie man Opfer am besten umgarnt. Als Erstes sagten sie am Telefon: "Sie spielen ja schon mit". Den Gesprächspartnern wurde so der Eindruck vermittelt, als seien sie längst Kunde des Gewinnspieldienstes. Danach boten die Agenten stets an, den Vertrag nach drei Monaten zu beenden, damit der Vertrag des Gesprächspartners nicht endlos weiterlaufe. Viele ahnungslose Kunden willigten daraufhin verzweifelt ein. In einem zweiten Anruf, intern "Qualitäts-call" genannt, besorgten die Agenten dann auch Kontonummer und Bankleitzahl. "Teilweise schafften die Mitarbeiter 170 Gespräche am Tag", sagt Thomas Pelka.

Der finanzielle Verlust für die Opfer sei erheblich, sagt Polizist Frier. Teilweise ist jahrelang monatlich 49,90 Euro vom Konto abgebucht worden, die Senioren kontrollierten ihre Kontoauszüge nicht. Erst die Erben sahen in einigen Fällen, dass illegal Geld abgehoben wurde. Jochen Frier: "Uns sind Fälle bekannt, in denen bis zu 13 000 Euro bei dem Geschädigten eingezogen wurden." Teilweise hätten sich die Angehörigen schon gewundert, warum die Großeltern keine Weihnachtspräsente mehr machten. Mit dieser Masche sollen die Täter, alle mit gehobenem Hauptschulabschluss, aber ohne einen erlernten Beruf, nach Einschätzung der Polizei mindestens eine Million Euro verdient haben, wahrscheinlich sogar mehr.

Der Gipfel der Dreistigkeit: Selbst die Kunden, die sich dem Betrug bis zum Ende erfolgreich widersetzten, wurden am Ende doch noch zu betrügen versucht. Für Gesprächspartner, die eine Gewinnspielteilnahme hartnäckig ablehnten, boten die Agenten am Ende sogar noch einen "Telefonblocker" an, einen kleinen schwarzen Kasten für 99,90 Euro, der Anrufe von Callcentern unterbinden sollte. Polizeipräsident Furth: "Diese Geräte sind unbrauchbar, die Callcenter wechseln mittlerweile ständig ihre Rufnummern."

(RP)
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