Krefeld Schlaganfall: Quantensprung der Medizin

Krefeld · Das Zeitfenster, in dem irreparable Schäden durch einen Schlaganfall verhindert werden können, erweitert sich. Zum heutigen Welttag gegen den Schlaganfall zeigt Neurologe Professor Thomas Haarmeier den medizinischen Fortschritt.

 Professor Thomas Haarmeier am Monitor in der Stroke Unit des Helios Klinikums.

Professor Thomas Haarmeier am Monitor in der Stroke Unit des Helios Klinikums.

Foto: T. Lammertz

Ein winzig kleines Gitterkörbchen erhöht die Chance auf ein Leben ohne Schwerbehinderung nach dem Schlaganfall. 87 Mal ist es im vergangenen Jahr in der Stroke Unit, der Schlaganfall-Spezialabteilung, des Helios Klinikums eingesetzt worden. In diesem Jahr bereits 33 Mal. Das Gitter, das mit einem Katheter von der Leiste über die Halsschlagader bis in den Kopf geführt wird, fängt das Blutgerinnsel ein, das den Schlaganfall ausgelöst hat. Das Gerinnsel wird bei dieser Thrombektomie mechanisch aus dem erkrankten Gefäß herausgezogen. "Das ist ein Quantensprung, auf den die Medizin lange hingearbeitet hat. So können wir auch Menschen mit einem schweren Schlaganfall helfen, die früher daran gestorben wären, und auch die Pflegebedürftigkeit drastisch senken", sagt Professor Dr. Thomas Haarmeier, Chefarzt der Neurologie am Helios Klinikum. Die Regel "Time is brain" (Zeit ist Hirn) gilt nach wie vor bei den Infarkten im Hirn. Denn wenn ein Gefäßverschluss die Durchblutung des Gehirns behindert, ist schnelles Handeln wichtig, damit das Hirngewebe nicht abstirbt - und damit Funktionen unwiederbringlich verloren gehen. "Früher waren die ersten zwei bis drei Stunden entscheidend. Heute erweitern sich die Zeitfenster. Bei der Thrombolyse, der medikamentösen Behandlung, auf 4,5 Stunden, manchmal sogar auf bis zu sechs Stunden und bei der Katheterbehandlung auf acht, unter Umständen sogar auf zwölf Stunden", erklärt Haarmeier. Trotzdem solle die Zeit nicht mit Warten vergeudet werden: "Patienten mit einem schweren Schlaganfall, die innerhalb der ersten halben Stunde behandelt werden, haben die besten Chancen, dass sie wieder beschwerdefrei werden." Wer wartet, erhöht das Risiko, dass sich im Gehirn Narben bilden, die sich nicht wieder zurückbilden und für Behinderungen verantwortlich sind. Mit Reha und fleißigem Training müssen die verlorenen Fähigkeiten dann wieder neu entwickelt werden. Das kann Wochen, Monate, aber auch zwei Jahre und länger dauern.

Die Statistik ist deutlich: In Deutschland erleiden jedes Jahr mehr als 270.000 Menschen einen Schlaganfall. Gut ein Drittel verstirbt innerhalb des ersten Jahres danach. 70 Prozent der Überlebenden tragen dauerhafte Behinderungen davon. Gestern legte das Statistische Landesamt die jüngsten Zahlen vor, danach starben im Jahr 2015 in Krefeld 133 Menschen an einem Schlaganfall. Gerinnsel, die die Blutversorgung blockieren, sind die Auslöser für den Schlaganfall. In den meisten Fällen werden diese Gerinnsel medikamentös aufgelöst. "Die großen Verschlüsse, die sehr schwere Schlaganfälle verursachen, stammen häufig nicht von einer Verkalkung an der jeweiligen Stelle, sondern es handelt sich um eine Embolie: Das Gerinnsel hat sich aus irgendeinem Bereich des Gefäßsystems gelöst und wandert über die Blutbahn in die Hirngefäße und bleibt stecken", sagt der Neurologe. Verengungen der großen Gefäße wie der Halsschlagader, aber auch Herzrhythmusstörungen, vor allem Vorhofflimmern sind Risikofaktoren für einen Schlaganfall. Haarmeier: "Deshalb gilt bei uns auch der Satz: Team is Brain." Denn in den Stroke Units arbeiten Neurologen, Therapeuten, Radiologen, Neurochirurgen, Gefäßchirurgen und Neuroradiologen Hand in Hand. "Als Faustregel gilt: Wer nicht länger als 30 Minuten von einer Stroke Unit entfernt wohnt, sollte diese Fahrtzeit investieren."

Das Bewusstsein für die Symptome eines Schlaganfalls sei heute geschärft. "Viele warten nicht erst lange ab", sagt Haarmeier. Alarmzeichen sind Störungen, die gelegentlich nur kurzzeitig auftreten: Taubheitsgefühle in einer Körperhälfte, bei der nicht nur ein Arm oder Bein betroffen ist, sondern die komplette Seite mit mehreren Gliedmaßen; der kurzzeitige Verlust der Bewegungsfähigkeit oder des Sprechens, das Sehen von Doppelbildern oder dass sich ein "Vorhang" vor ein Auge schiebt, alles für etwa eine Minute schwarz wird und dann wieder hell. Das Tückische daran: Nach solchen Warnattacken ist alles wieder normal. Das Risiko, dass nach ein bis zwei Wochen eine größere Attacke folgt, ist groß.

Ab 18 Uhr veranstaltet das Helios Klinikum am Lutherplatz heute einen Aktionstag rund um die Schlaganfallbehandlung im Konferenzzentrum Haus A, Erdgeschoss. Eintritt ist frei, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

(RP)
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