Krefeld Schüler erinnern an Krefelder NS-Opfer

Krefeld · Mit eindrücklichen Bildern gaben gestern Jugendliche einen Einblick in die dunkelste Zeit Krefelder Geschichte.

 Drei Schülerinnen der zehnten Klasse der Ter-Meer-Realschule stellten Anna Tervoort vor. Die Krefelder Bäuerin hatte eine Jüdin auf ihrem Hof versteckt.

Drei Schülerinnen der zehnten Klasse der Ter-Meer-Realschule stellten Anna Tervoort vor. Die Krefelder Bäuerin hatte eine Jüdin auf ihrem Hof versteckt.

Foto: T.L.

Über persönliche Schicksale hatten sich Schüler einem Thema genähert, das nicht nur für Jugendliche schwer zu fassen ist: dem Holocaust. Gestern präsentierten sie die Ergebnisse ihrer wochenlangen Recherchen beim Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, den die neue Gesamtschule Uerdingen zusammen mit der Ter-Meer-Realschule ausrichtete. Es war eine sehr einfühlsame und bewegende Feier, die die zahlreichen Gäste aus Politik und Verwaltung zu sehen bekamen.

Samira Chaghouani ist Klassenlehrerin der 8d der Gesamtschule Uerdingen. Sie sagt: "Wir haben uns an Personen orientiert, weil das den Schülern den Zugang zu diesem schwierigen Thema erleichtert. Die Schicksale dieser Menschen haben sie stark beeindruckt. Besonders der Tod eines sechsjährigen Mädchens. Er hat die Schüler so mitgenommen, dass wir sie an diesem Tag früher aus dem Unterricht entlassen haben." Anhand der biografischen Details dieser Personen entwickelten die Achtklässler lebensgroße Figuren, die sie gestern ausstellten. "Mir ist aufgefallen, dass die Schüler diese Figuren sehr respektvoll behandeln. Das zeigt, wie tief sie dieses Thema berührt hat", erklärte Samira Chaghouani.

 Krefelder Prominenz kam zum Gedenktag, in der Mitte Oberbürgermeister Frank Meyer, links neben ihm Michael Gilad von der jüdischen Gemeinde.

Krefelder Prominenz kam zum Gedenktag, in der Mitte Oberbürgermeister Frank Meyer, links neben ihm Michael Gilad von der jüdischen Gemeinde.

Foto: T.L.

Schüler der zehnten Klassen der Ter-Meer-Realschule stellten bei der Gedenkfeier Krefelder vor, die in Zeiten von Diktatur und Unterdrückung den Mut hatten, unangepasst zu sein. Prominentestes Beispiel dafür ist Anna Tervoort, die als einzige Krefelderin in der Gedenkstätte Yad Vashem als "Gerechte unter den Völkern" geehrt wird. Sie hatte der Jüdin Johanna Werner geholfen, sie auf ihrem Hof in Traar versteckt und ihr später Lebensmittel zukommen lassen.

Aber auch andere Krefelder verweigerten sich den Forderungen der Nationalsozialisten. Die Jugendlichen skizzierten die Schicksale von vier weiteren Familien. Neben Anna Tervoort erinnerten sie an den Juden Werner René Daniels, der nach Belgien flüchtete und mit viel Glück und dank seiner sehr guten Französischkenntnisse den Verfolgern, meist nur knapp, entkommen konnte. Am Ende bekämpfte er die Deutschen im französischen Widerstand. Auch Lore Gabelin, Tochter einer jüdischen Mutter und eines katholischen Vaters, nannten die Schüler und zeigten ein Interview mit ihrem jüngsten Sohn, den die Verfolgungsgeschichte bis heute belastet, der sich Zeit seines Lebens "anders gefühlt" hat.

 Schüler der Klasse 8d der Gesamtschule haben diese Figuren nach Bildern der historischen Persönlichkeiten geschaffen und mit Fragen versehen.

Schüler der Klasse 8d der Gesamtschule haben diese Figuren nach Bildern der historischen Persönlichkeiten geschaffen und mit Fragen versehen.

Foto: bk

Oder Anna Hermes, an die bis heute ein Stolperstein an der Geldernschen Straße erinnert. Ihr Mut, nicht alles mit sich machen zu lassen - so weigerte sie sich auch den Judenstern zu tragen -, kostete die junge Frau das Leben. "Uns hat es sehr schockiert, dass man wegen solcher Kleinigkeiten damals ins KZ kam", sagten die Zehntklässler.

Tief berührt hat die Jugendlichen auch die Geschichte der Brüder Niko und Rolf Kamp. Sie waren typische Krefelder Jungs, sprachen krie-ewelsch Platt, ihre Eltern und Großeltern war in der Stadt hochangesehen. Trotzdem wurde die jüdische Familie von den Nazis gejagt. Auf der Flucht waren Eltern und Kinder in den Niederlanden bei verschiedenen Bauern versteckt. Erst nach Ende des Krieges trafen die Jungen ihre Mutter wieder, die anders als der Vater das KZ überlebt hatte.

 Der Schulchor der Gesamtschule Uerdingen trug einfühlsam die Lieder "Nada de turbe", "O Lord hear my prayer" und "Hashi venu" vor.

Der Schulchor der Gesamtschule Uerdingen trug einfühlsam die Lieder "Nada de turbe", "O Lord hear my prayer" und "Hashi venu" vor.

Foto: T.L.

Mit Hilfe von selbstgestalteten Filmen und historischen Fotos visualisierten die Jugendlichen die Porträts der Opfer. Schüler der 7. und 8. Klassen der Gesamtschule Uerdingen stellten Szenen des Beschriebenen pantomimisch dar. Der Schulchor der Gesamtschule schuf mit seinen gefühlvoll vorgetragenen Liedern den passenden musikalischen Rahmen für diese Präsentation.

 Zwei fröhliche Jungs, die Brüder Kamp. Doch schon bald endet die unbeschwerte Zeit. Die jüdische Familie flieht vor den Nazis in die Niederlande.

Zwei fröhliche Jungs, die Brüder Kamp. Doch schon bald endet die unbeschwerte Zeit. Die jüdische Familie flieht vor den Nazis in die Niederlande.

Foto: bk

"Ich gehe in eine Inklusionsklasse, in der es Kinder mit Defizit gibt, die sehr gut integriert sind. Es ist für mich unverstellbar, dass diese Kinder im Nationalsozialismus nicht überlebt hätten und es auch eine solche Klasse nie gegeben hätte", sagte Fiete (14), der sich mit seinem Mitschüler Larry (15) mit dem schwierigen Thema "Euthanasie" auseinandergesetzt hat. "Dass es so etwas in Deutschland wiedergeben könnte, ist für mich heute unvorstellbar", meinte der Neuntklässler.

Jugendliche für das Thema zu sensibilisieren ist auch das Anliegen von Oberbürgermeister Frank Meyer. Er betonte in seiner Rede, wie wichtig es sei, gerade auch bei der aktuellen Entwicklung, die Werte des demokratischen und freien Staates hochzuhalten. Er begrüße es sehr, dass diese Gedenkfeier schon seit den 90er Jahren von Schülern wechselnder Schulen ausgerichtet werde. Meyer betonte: "Das Einzige, was wir den Opfern des Nationalsozialismus geben können, ist Respekt. Und alles zu tun, damit gilt: nie wieder."

(bk)
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