Krefeld Schulanfang zum Kriegsende

Krefeld · Vor 70 Jahren sind Elisabeth Peter und Katharina Molls als erste nach dem Krieg wieder zur Schule gegangen. Sie gehören zu den ersten, die am heutigen Ricarda-Huch-Gymnasium gegen Widrigkeiten ihre mittlere Reife abgelegt haben. Eine Zeitreise.

 Elisabeth Peter (links) und Katharina Molls haben im Frühjahr 1946 die Aufnahmeprüfung für die Mädchenschule bestanden. So konnten sie sich nach dem Krieg bilden, ihre Eltern mussten das Schulgeld aufbringen.

Elisabeth Peter (links) und Katharina Molls haben im Frühjahr 1946 die Aufnahmeprüfung für die Mädchenschule bestanden. So konnten sie sich nach dem Krieg bilden, ihre Eltern mussten das Schulgeld aufbringen.

Foto: Thomas Lammertz

Elisabeth Peter lacht auf und klopft ihrer Freundin auf die Schulter. Ob sie die Anekdote erzählen dürfe? Aber ja, warum denn nicht. Heimlich hat sich Elisabeth Peter für die männlichen Schauspieler des Stadttheaters interessiert. "Da war schon die ein oder andere Schwärmerei dabei", verrät die 81 Jahre alte Elisabeth Peter verschmitzt und lacht wieder. Das Stadttheater hatte damals in der Aula ihrer Schule geprobt. Da war es manchmal schwer, sich ernsthaft auf Unterricht und fleißiges Lernen zu konzentrieren. Lange ist das her.

"Wir sind alle Kriegskinder", sagt Elisabeth Peter. Das Lächeln ist weg, es geht ihr um eine ernste Zeit. Peter und ihre Freundin Katharina Molls waren die ersten, die vor 70 Jahren nach dem Krieg wieder die Schule besucht haben. Es war eine reine Mädchenschule, das heutige Ricarda-Huch-Gymnasium. Die halbe Stadt lag in Trümmern, es gab wenig Essen, wenig Freude, wenig Geld. Im Gegenteil: Für den Besuch der höheren Schule mussten die Familien irgendwie Schulgeld aufbringen.

Und so hoffte etwa Katharina Molls Mutter inständig, dass ihre Tochter die Aufnahmeprüfung für die Schule nicht bestehen würde - ohne Erfolg. Katharina Molls fing im Frühjahr 1946 mit rund 30 anderen in einer Klasse an Krefelds Mädchenschule mit ihrer schulischen Ausbildung an. Dort war der Andrang groß, erzählen die beiden Frauen. Zu viele Schülerinnen für zu wenige Lehrer waren dort. Aber der Zweite Weltkrieg hatte seine fürchterlichen Narben und Spuren hinterlassen - bei den Menschen und in der Stadt.

Die Alliierten hatten Sorge, dass unter den Lehrern noch etliche Alt-Nazis sind, die ihr äußerliches Gewand bloß der jungen Demokratie anpassten. Das Ricarda-Huch-Gymnasium hieß während der Zeit der Nazi-Diktatur "Karin-Göring-Schule", benannt nach der ersten Ehefrau von Hermann Göring. Die Schulen waren den Alliierten als Nazischmieden in Erinnerung - die Entnazifizierung kostete also einige Lehrer ihren Job. Pensionierte Lehrer wurden reaktiviert, um den Schulbetrieb aufrecht erhalten zu können.

"Unter welchen Bedingungen wir damals zur Schule gingen", erinnert sich Elisabeth Peter, die wie auch ihre Freundin 81 Jahre alt ist. Es gab ein paar Papiere anstelle von Schulbüchern. Statt Suppe von frischen Erbsen gab es eine klebrige Ersatzpampe aus Erbsenmehl. "Wie Kleister", sagt Katharina Molls. Kaum Material, kaum Lehrer, kaum Platz, kaum Geld. "Wir wundern uns, dass trotzdem so viel bei uns hängen geblieben ist", sagen beide.

Aus dieser großen Klasse, die vor 70 Jahren aus ganz Krefeld und Umgebung zusammen gewürfelt wurde, sind noch immer etwa 18 Frauen eine Gemeinschaft. Zweimal im Jahr treffen sie sich alle, erinnern sich, halten sich auf dem Laufenden, plaudern, gehen Essen oder Kaffeetrinken. "Wenn 18 Weiber aufeinandertreffen, dann wird es laut", erzählt Elisabeth Peter.

In diesem Jahr, anlässlich dieses besonderen Zeitpunkts, wollten die beiden auch ein besonderes Treffen organisieren. Und das sollten ihnen und ihren Klassenkameradinnen auch gelingen. Für den 10. März, also kurz vor den Osterferien, hat das aktuelle Kollegium die Schülerinnen von damals zum Sekt eingeladen. Sehr froh und stolz sind sie, dass die Lehrer von heute sich für die Schüler von früher interessieren, betonen die beiden Damen.

Zwei Schulziele gab es damals: Entweder die mittlere Reife oder das Abitur. "Das Abitur war finanziell überhaupt nicht drin", berichtet Elisabeth Peter. Ihr Vater hat schon am Ersten Weltkrieg teilgenommen, zu ihrer Schulzeit war er Alleinverdiener und musste drei Kinder versorgen. Also machten Peter und Molls die mittlere Reife. 1952 war das, sechs Jahre nach ihrer Einschulung.

Katharina Molls ist nach der Schule bei der Rheinischen Post gelandet. 42 Jahre lang hat sie in der kaufmännischen Abteilung gearbeitet. "Das war ein großes Glück", sagt sie. Elisabeth Peter hat heute einen Enkel am Ricarda-Huch-Gymnasium, sie besucht Computerkurse, hält sich fit und trifft sich oft mit ihren Freundinnen wie Katharina Molls.

"Wir freuen uns über jeden, der noch unter den Lebenden ist", sagt Elisabeth Peter und lacht. Ihre älteste Schulfreundin ist 83. Auch sie kommt selbstverständlich zum Sektempfang.

(her)
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