Krefeld Schutzschild für Tschernobyl aus Linn

Krefeld · Dafür, dass hunderte Millionen Menschen in Europa die nächsten Jahrzehnte ruhig schlafen können, hat das mittelständische Unternehmen Röhr + Stolberg einen entscheidenden Beitrag geliefert: 500.000 Kilogramm schwere Bleiprofile und Platten des Krefelder Spezialisten sollen für die kommenden 100 Jahre die radioaktive Strahlung des Katastrophen-Reaktors in Tschernobyl in Schach halten.

 500 Tonnen haargenau in Form gebrachtes Blei lieferte das Krefelder Unternehmen Röhr + Stolberg für die neue Ummantelung des Unglücksreaktors nach Tschernobyl.

500 Tonnen haargenau in Form gebrachtes Blei lieferte das Krefelder Unternehmen Röhr + Stolberg für die neue Ummantelung des Unglücksreaktors nach Tschernobyl.

Foto: Röhr+Stolberg

Der Auftrag stellte die 150 Mann starke Belegschaft von Röhr + Stolberg in Linn auf eine harte Probe: Die Spezialisten für die Verarbeitung von Blei und Strahlenschutz fertigte und lieferte 500 Tonnen Bleiprofile sowie Sandwichplatten für die neue Schutzhalle über dem zerstörten Reaktor in Tschernobyl. Darunter wird die noch immer strahlende Ruine abgerissen und der Atommüll herausgeholt. Rund 180.000 Tonnen strahlendes Material lagern in den Ruinen des Reaktors 4, darunter die besonders riskanten Elemente Uran und Plutonium, notdürftig eingemauert in einem rissigen Behelfsarkophag aus Stahl und Beton. Das Blei "made in Krefeld" schirmt die gefährliche Strahlung ab, wenn künftig der restliche Atommüll aus dem Reaktor geholt und das Kraftwerksgebäude abgerissen wird. Vom Design der Bleiplatten und Profile über die Fertigung und Lieferung bis zur Montagebegleitung leistete Deutschlands führender Bleiverarbeiter einen wesentlichen Beitrag für die Errichtung der Schutzkuppel.

Das Projekt der Superlative ist das größte mobile Landbauwerk der Erde. 1200 Arbeiter aus 27 Nationen halfen beim Bau. Ein gigantisches Stahlgerippe trägt die mehrschichtige Kuppel. Die neue Abschirmung samt technischer Ausstattung ist 36.000 Tonnen schwer, 257 Meter breit, 162 Meter lang und 108 Meter hoch. Die Außenhaut der Kuppel ist 86.000 Quadratmeter groß. Der Bau wird Windgeschwindigkeiten von bis zu 250 Stundenkilometern standhalten, Erdbeben der Stärke sechs trotzen und Temperaturen zwischen minus 30 und plus 50 Grad vertragen.

Entsprechend anspruchsvoll gestaltete sich die Auftragsabwicklung für das ausschließlich in Deutschland fertigende Krefelder Unternehmen. "Wir haben die besonderen Anforderungen an die Logistikkette bis zur Anlieferung auf der Baustelle mit Bravour gemeistert", sagte der verantwortliche Diplom-Ingenieur Diemo Schallehn erfreut. Die Krefelder greifen bei derart komplexen Projekten auf ein tragfähiges Netzwerk nationaler und internationaler Partnerunternehmen zurück. "Bereits in der Projektierungsphase haben wir zusammen mit unserem Kunden Novarka, dem Baukonsortium des NSC und Kollegen unserer französischen Schwesterfirma D'Huart Industries vielschichtige Lösungen für Fragen der Sicherheit, Montage- und Wartungsfreundlichkeit entwickelt", so Schallehn.

Der Großteil der Fertigung erfolgte im Werk in Krefeld-Linn. Aber bevor es zum eigentlichen Gießen, Walzen, Extrudieren und schließlich zur Vormontage der Bleielemente kommen konnte, waren viele vorbereitende Schritte notwendig: Das Unternehmen führte umfangreiche Strahlenschutzrechnungen durch, lieferte Nachweise der Baustatik, legte Fertigungs-und Prüfanweisungen fest und organisierte eine lückenlose Logistik. Damit der Bau die Strahlung auch tatsächlich einschließt, waren höchste Qualitätskontrollen einzuhalten und zu dokumentieren. Deshalb kann bei jedem verbauten Einzelteil zurückverfolgt werden, wann es bei Röhr + Stolberg oder einem seiner zertifizierten Unterlieferanten aus der Region hergestellt wurde. "Bei dem Projekt haben wir in besonderer Weise von der Vielfalt und Dichte der angesiedelten Industrie und Logistik profitiert", betonte Schallehn.

Die Verarbeitung von Blei hat eine lange Vergangenheit und eine vielversprechende Zukunft. Das Krefelder Unternehmen Röhr + Stolberg vereinigt beides. 1872 in Uerdingen als Familienunternehmen gegründet, ging es Mitte der 1990er Jahre in der englischen Calder Gruppe auf. In Krefeld verfügt das Unternehmen über ein 27.000 Quadratmeter großes Firmengelände, auf dem im vergangenen Jahr eine zusätzliche Halle errichtet wurde, um die Marktführerschaft in Europa auszubauen.

(sti)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort