Krefeld Seelenschau einer russischen Bovary

Krefeld · Mit Izabela Matula in der Titelrolle wurde die düstere Oper "Katja Kabanowa" zu einem großartigen Abend. Ein bestens aufgelegtes Ensemble und Orchester ließen Janaceks Spätwerk leuchten.

 Zwei, die der Enge des Dorflebens entkommen wollen: Katja Kabanowa (Izabela Matula, unten) und ihre Freundin Barbara (Eva Maria Günschmann).

Zwei, die der Enge des Dorflebens entkommen wollen: Katja Kabanowa (Izabela Matula, unten) und ihre Freundin Barbara (Eva Maria Günschmann).

Foto: Stutte

Der Schriftsteller Max Brod hat Katja Kabanowa eine russische Madame Bovary genannt. Während Flauberts Ehebrecherin, die an ihren Schuldgefühlen und dem gesellschaftlichen Druck zerbricht, Weltruhm erlangt hat, ist die "Katja", deren Schicksal Leos Janacek um 1920 nach Ostrwoskijs Drama "Das Gewitter" in Klang getaucht hat, wenigen bekannt und selten auf deutschen Opernbühnen zu erleben. Das Werk ist eine Herausforderung - nicht nur der tschechischen Sprache wegen, die - weil Janacek sehr eng an den Rhythmen des Sprechens komponierte - unübersetzbar ist. Auch musikalisch ist der Dreiakter eine Tour auf den Gipfel des Mount Everest: strapaziös, Kondition und Konzentration fordernd und emotional alles abverlangend. In der Inszenierung der Dresdener Regisseurin Helen Malkowsky, die jetzt ihre Krefeld-Premiere hatte, fügte sich alles bestens zusammen. Am Ende eines Abends über die Kraft der Sehnsucht, gab es langen Applaus und Bravo-Rufe.

"Wovon wir träumen ist Teil der Realität, in der wir leben", steht in Leuchtschrift auf dem Vorhang. Sobald er sich öffnet, gibt er eine trostlose Gegend frei. Das Dorf an der Wolga hat Bühnenbildnerin Kathrin-Susann Brose mit schäbigen Fassaden gebaut, Alexandra Tivigs Kostüme steigern die Trübnis mit 60er-Jahre-Schlichtheit. Der Mief bigotter Moral hängt in jeder Faser. Nur auf einem Bauzaun wogt hin und wieder die Wolga. Das ist Verheißung einer vermeintlich besseren Zukunft und Vorwegnahme des tragischen Endes zugleich. In dieser Enge spielt sich das Leben Katjas ab. Kein Wunder, dass sie Sehnsucht nach einem Ausbruch hat.

Für Izabela Matula scheint die Partie auf ihre Stimmbänder maßgeschneidert zu sein. Die sich bis zur Unerträglichkeit stauende Leidenschaft, den Ausbruch der Gefühle bei der Begegnung mit Boris, die sie zerfressenden Schuldgefühle und der Schmerz, als der Liebhaber sie verlässt, füllt die Sopranistin mit ergreifender Innigkeit. Sie lässt die Töne hell lodern, voller Energie strahlen und offenbart in den zarteren Passagen eine bewegende Verletzlichkeit. Eine solche Charakterstimme muss Janacek vorgeschwebt haben, als er - immerhin schon weit in seinen 60ern - dieses Werk komponierte. Eine 40 Jahre jüngere Angebetete soll seine Leidenschaft befeuert haben.

Helen Malkowsky kann auf die Qualität von Ensemble und Orchester vertrauen. Sie muss die Inszenierung nicht mit Symbolen überfrachten. Ihre Regie ist leicht wie eine Choreografie. Wenn Katja auf dem Höhepunkt des Gewitters ihren Ehebruch gesteht, braucht man keine optischen Lichtblitze. Unter dem Dirigat von Generalmusikdirektor Mihkel Kütson donnert und prasselt es gewaltig im Orchestergraben. Die Niederrheinischen Sinfonikler lassen es heftig wetterleuchten und nehmen die vielen Taktwechsel, die unterschiedlichen Ebenen der Komposition mit Verve.

Auch auf der Bühne herrscht musikalische Feststimmung. Michael Siemon glänzt als Boris mit wärmender Tenorstimme, der sich den Janacekschen Klangfarben aufs schönste anpasst. Satik Tumyan funkelt als biestige Schwiegermutter in hochangesetzter Altlage und setzt Schwiegertochter und dem duckmäuserischen Sohn Tichon (Kairschan Scholdibayew) ordentlich zu. Hayk Deinyan als in kraftvollem Bass polternder Dikoj und Eva Maria Günschmanns makelloser Klang als Barbara stehen stellvertretend für alle weiteren Mitwirkenden.

Innerhalb von anderthalb Stunden zerfällt das Bühnenbild wie Katjas Welt. Doch das schönste Bild hat Helen Malkowsky für den Schluss aufgehoben: Katja, die in der Literatur den Tod in der Wolga sucht, wird von der Dorfgemeinschaft (dem bestens aufgestellten Opernchor) vereinnahmt und unsichtbar.

Weitere Vorstellungen: 23. Oktober, 13., 18. November, 20. und 28. Dezember. In tschechischer Sprache mit deutschen Übertiteln. Kartentelefon 02151 805125

(RP)
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