Krefeld Selfie-Schau soll neuen Rekord bringen

Krefeld · Der neue Leiter des Düsseldorfer NRW-Forums, Alain Bieber (zu sehen auf dem Selfie), spricht über seine erste Ausstellung und digitale Identität. Selfies sind für ihn kein Exhibitionismus - das Phänomen habe Tiefe, sagt Bieber.

Krefeld: Selfie-Schau soll neuen Rekord bringen
Foto: Endermann, Andreas (end)

Das NRW-Forum ist das erste Ausstellungshaus, das Alain Bieber leitet. Er begann im April, die Selfie-Ausstellung (19. September bis 17. Januar) ist sein Debut. Geboren wurde Bieber 1978 in Wesel, er besitzt sowohl die deutsche als auch die französische Staatsbürgerschaft. Der Journalist und Kurator arbeitete zuletzt beim TV-Sender Arte. Dort war er verantwortlich für "Arte Creative" - ein Online-Magazin für zeitgenössische Kultur.

Herr Bieber, machen Sie Selfies?

Alain Bieber Natürlich, beispielsweise von mir und meiner Familie. Allerdings bin ich ein wenig zurückhaltend, was das Posten solcher Fotos im Internet angeht.

Die Veröffentlichung solcher Aufnahmen, etwa aus dem Urlaub oder aus Restaurants, ist ja mittlerweile zu einer Art Volkssport geworden.

Bieber Der Sport ist jedoch älter. Denken Sie an die Asiaten auf Europaurlaub, über die sich mancher gerne mokiert. Den Eiffelturm fotografieren kann jeder; aber dokumentieren, dass man da war, das war und ist wichtig - also stellt man sich davor und lichtet sich mit dem Denkmal ab. Das ist dann ein Beweis. Für mich sind solche Motive Vorläufer der Selfies.

Selfies haben aber weitere Funktionen

Bieber Das Phänomen spiegelt heute nicht nur profanen Exhibitionismus oder ist dokumentarisch, sondern hat Tiefe. Selfies sind mehr als Schnappschüsse. Sie sind eine Art, der Welt ein Bild von sich zu vermitteln und stiften folglich Identität. Sie markieren den Übergang vom Ich zum Wir. Deswegen handelt unsere Ausstellung im NRW-Forum nicht allein von Selfies, sondern fragt nach der Zukunft der digitalen Identität. Da gibt es auch Unterschiede zwischen Ländern, das werden wir in einer Kooperation mit mehreren Goethe-Instituten herausarbeiten.

Selfies und die sozialen Netzwerke sind also untrennbar miteinander verbunden?

Bieber Jeden Tag werden 'zig Millionen dieser Fotos im Netz hochgeladen. Der Erfolg der Selfie-Kultur ist ohne Facebook und andere soziale Netzwerke gar nicht denkbar. Für viele Leute ist es sehr wichtig, dass ihr Bild gut ankommt, möglichst oft ,geliked' wird. Das Private ist hier endgültig öffentlich.

Aber will man das wirklich alles sehen?

Bieber Niemand kann sich das alles ansehen, das ist die Kehrseite. Allein 25 Millionen Deutsche machen Selfies. Viele Menschen zeigen sich, aber werden sie wahrgenommen? Sind Sie vielleicht einsam und das Foto ist Ausdrucks einer Sehnsucht nach Liebe? Künstler reflektieren diese Inflation und Vereinzelung, das wird in der Ausstellung auch zu sehen sein - etwa, wenn bei Erik Kessels ein einzelner Mensch in einem Berg von Fotos liegt. Ebenso vielfältig sind die Motivwelten. Es gibt Leute, die fotografieren sich nur vor Bücherregalen oder nehmen ausnahmslos Füße auf. Selfies spielen auch auf den Flirt-Plattformen eine große Rolle, bis hin zu erotischen und sexuellen Ausformungen.

Düsseldorf wurde im vergangenen Jahr vom Time Magazine zur deutschen Selfie-Hauptstadt gekürt. Wie erklären Sie sich diese besondere Platzierung?

Bieber Düsseldorf landete im internationalen Vergleich auf Platz 136 weit vor Hamburg und Berlin. Düsseldorf ist Single-Stadt, hier gibt es eine ausgeprägte Lust an der Selbstdarstellung und -inszenierung; am Hedonismus, man lässt andere gerne an Reichtum oder Attraktivität teilhaben. Gute Voraussetzungen für diese Szene.

Selfies sind aber auch oft einfach nur witzig, es sind positiv gestimmte Menschen zu sehen.

Bieber Humor spielt eine tragende Rolle, das werden Sie in der Ausstellung erleben. Dafür steht schon der Spaß-Rapper Mc Fitti, der sich nonstop postet. Eine Kunstfigur, die man ohne ihr Kapuzen-Sweatshirt gar nicht mehr fotografieren darf. Den Mann würde ohne seinen Bart ohnehin niemand mehr erkennen. Oder denken Sie an das Selfie des Schopfaffenweibchens. Der Tierfotograf David Slater fotografierte, als der Affe ihm das Smartphone entriss und ein Selfie von sich machte. Das hatte 2011 eine Urheberrechtsdebatte zur Folge, die weltweites Interesse fand. Gehören die Rechte an den Bildern dem Tier? Die US-Copyright-Behörde hat schließlich salomonisch entschieden, dass Affen-Selfies niemandem gehören.

Eine Selfie-Ausstellung ist ein populäres Unterfangen. Was erwarten Sie im Rahmen unserer gemeinsamen Aktion von unseren Lesern, damit ihre Bilder in die Ausstellung gelangen?

Bieber Alles ist möglich. Originelle Bilder sollten es sein oder sie sollten eine besondere persönliche Bedeutung haben. Deswegen sind wir auf die Begründungen gespannt: Warum ist ein Foto das Lieblings-Selfie? Übrigens geht es nicht darum, besondere Mutproben abzuliefern oder sich in Gefahr zu bringen - auf Hochhäuser muss niemand klettern, halsbrecherische Ideen bekommen keinen Bonus.

Bislang war im NRW-Forum die Ausstellung mit Fotos von Bryan Adams Rekordhalter in der Publikumsgunst. Was ist Ihr Ziel bei der Selfie-Ausstellung

Bieber Die Adams-Ausstellung hat 60 000 Besucher angezogen. Da würde ich mit "Ego Update" gerne landen - mindestens.

(RP)
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