Krefeld Siempelkamp an Elite-Projekt beteiligt

Krefeld · Wenn alles glückt, könnte es den Automobilbau revolutionieren: In Wolfsburg wird eine Forschungsfabrik aufgebaut - beteiligt ist die Elite der deutschen Industrie, darunter Siempelkamp als Welt-Technologieführer bei Pressen.

 Was Chef-Entwickler Michael Schöler da so federleicht in den Händen hält, ist Organo-Blech - ein Kunststoff auf KohlefaserBasis; daraus werden unter anderem die Wände von Flugzeugen gemacht.

Was Chef-Entwickler Michael Schöler da so federleicht in den Händen hält, ist Organo-Blech - ein Kunststoff auf KohlefaserBasis; daraus werden unter anderem die Wände von Flugzeugen gemacht.

Foto: T.l.

Der Krefelder Maschinenbauer Siempelkamp beteiligt sich an der "Open Hybrid LabFactory" im Rahmen der Förderinitiative "Forschungscampus - öffentlich-private Partnerschaft für Innovationen" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Räumliches Zentrum des mit mehr als 100 Millionen Euro finanzierten Projekts ist eine Anlage in Wolfsburg, die als "Open Hybrid LabFactory" firmiert - es ist ein komplettes Forschungszentrum für rund 250 Forscher aus Wissenschaft und Industrie. Das Ziel ist es, neue, leichte Werkstoffe und Techniken für das Automobil der Zukunft zu entwickeln.

Den Krefeldern kommt in dem Projekt eine Schlüsselrolle zu: Sie entwickeln eine Presse, die mit den ersehnten "Hybrid"-Werkstoffen zurechtkommt: Materialien, die aus Metall und Composite-Stoffen kombiniert sind. Composite-Stoffe sind Kunststoffe etwa auf Kohlefaser-Basis. "Hybrid-Werkstoffe zu pressen ist technisch extrem anspruchsvoll", sagt Michael Schöler (57), Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung bei Siempelkamp, "wir waren die Einzigen, die sich an diese große Herausforderung herangewagt haben."

Composite-Werkstoffe sind Wunderwerke moderner Werkstofftechnik: Aus ihnen besteht zum Beispiel die nur 1,3 Millimeter (!) dünne Außenhaut des Boeing Dreamliner oder des Airbus A 350. Das Material wird "Organo-Blech" genannt, weil es sich wie Blech anfühlt (und anhört, wenn man dagegenklopft), aber eben aus Kunststoff besteht. "Organo-Blech", sagt Schöler dazu, "wiegt ein Viertel von Stahl und ist fünfmal so fest."

Gewicht ist der Faktor, der entscheidend ist für die Zukunft. Deutsche Autos sind von Generation zu Generation im Schnitt 50 bis 100 Kilogramm schwerer geworden, berichtet Schöler. So wog der Golf anfangs deutlich unter einer Tonne; heute liegen die Modelle bei rund 1,5 Tonnen. Gewicht bringen unter anderem die zahlreichen elektrischen Funktionen und die dazugehörigen Elektromotoren mit sich. "Diesen Trend wollen wir brechen, und wir haben ihn gebrochen", sagt Schöler. Die Autos müssen auch leichter werden, um den Elektroantrieb praktikabler zu machen. Die Energieersparnis durch Gewichtsreduktion ist enorm: "Ein Kilogramm Gewichtsersparnis spart bei Flugzeugen 6000 Dollar auf ein Flugzeugleben, das bei rund 60 000 Flugstunden liegt", sagt Schöler.

Auch wenn Composite-Teile extrem leicht und fest sind und im Autobau schon an vielen Stellen verwendet werden - noch ist ihr Einsatz nicht überall möglich. Zum Beispiel bestehen tragende Säulen nach wie vor aus hochfestem Spezialstahl. An solchen Punkten kommen die Hybrid-Stoffe ins Spiel: Die Mischung aus Metall und Composite-Material soll leichtere Teile ergeben - mit den Eigenschaften von Stahl.

Dem Pressvorgang kommt dabei eine zentrale Rolle zu, denn nur wenn er glückt, entspricht der Werkstoff den Eigenschaften, die man haben muss. Ein Riesenproblem ist es, wenn beim Pressen von Kohlefaserschichten Luftblasen eingeschlossen werden: Werden solche Teile im Autobau nach dem Lackieren unter Hitze getrocknet, dehnt sich die Luft aus, durchbricht platzend die feine Oberfläche - zurück bleiben Krater auf dem Lack. Also Ausschuss. Ein weiteres Problem: dickflüssigen Kunstharz gleichmäßig zwischen die Faserschichten zu pressen. "Das ist, als wenn Sie Honig zwischen gestapelte Decken pressen und erreichen müssen, dass der Honig überall gleich verteilt ist", erläutert Schöler.

Siempelkamp hat Pressen entwickelt, die das leisten und zudem den Luftblasen-Fehler vermeiden. Die Schichten - im Flugzeugbau sind es bis zu 42 - werden nicht von oben, sondern von der Seite her gepresst, so dass die Luft herausgedrückt wird; ähnlich wie man eine Schutzfolie auf den Bildschirm eines Smartphones aufbringen würde. Das sagt sich so: Die Maschinen müssen bei extrem hohen Drücken mit äußerster Gleichmäßigkeit arbeiten. "Wir können mit unseren Maschinen ein Viertel des Materials sparen, weil jedes Teil präzise gepresst wird", sagt Schöler.

Heute sind in einem Auto noch 200 bis 300 Teile Blech verarbeitet; Ziel ist es, diese Zahl auf 20 bis 30 Einzelteile zu verringern. Um das marktfähig zu bekommen, müssen deutlich größere Teile deutlich schneller gepresst werden - beides stellt neue, hohe Anforderungen an die Pressentechnik. "Sie kriegen heute pro Minute 15 bis 20 Blechteile gepresst; ein einziges Composite-Teil dauert zwei bis drei Minuten", sagt Schöler. Diese Zeit muss kürzer werden, damit die Produktivität künftiger Fabriken hoch genug ist, um wettbewerbsfähig zu sein.

Wenn das "Open Hybrid LabFactory" glückt, werden die deutschen Autobauer ihren technologischen Vorsprung im globalen Wettbewerb deutlich vergrößert haben. Siempelkamp wird davon mit Aufträgen auf lange Zeit profitieren. Und damit Jobs und Wohlstand in Krefeld sichern.

(RP)
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