Krefeld Soziale Hilfe für jedes zweite Neugeborene

Krefeld · Das "Sozialbündnis Krefeld" legt dramatische Zahlen vor: Rund 4000 Personen bekommen täglich Essen von der Tafel.

Die Zahlen klingen dramatisch: Die Arbeitslosenquote in Krefeld liegt bei elf Prozent, 23 Prozent der Kinder leben von Hartz IV, rund 52 Prozent aller Neugeborenen in der Seidenstadt sind bereits am ersten Lebenstag auf soziale Unterstützung angewiesen, 4000 Personen bekommen täglich Essen von der Krefelder Tafel. "Die Schere zwischen Armut und Reichtum geht immer weiter auseinander", sagt Jo Greyn, Leiter des ökumenischen Arbeitslosenzentrums Krefeld-Meerbusch, der die Zahlen jetzt im Rahmen eines Gesprächs des "Sozialbündnis Krefeld" vorstellte. "Mit diesen Ergebnissen haben wir unter anderem die Landtagskandidaten konfrontiert, die sich am 14. Mai um ein Direktmandat in Krefeld bewerben", so Bündnis-Sprecher Ulrich Knur. Parallel hat die Organisation den Politikern eine "Krefelder Erklärung" zur Unterschrift vorgelegt, in der sie Forderungen zur "Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung" zusammengefasst hat.

"Das Sozialbündnis will mit dieser Erklärung ein breites Bewusstsein in Politik und Öffentlichkeit wecken, dass Armut und Reichtum nicht zufällig entstehen, sondern durch gezieltes Setzen von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erzeugt werden", zitiert Knur aus der Einleitungspassage. Alle 13 Direktkandidaten haben sich mit dem Papier auseinandergesetzt, die Vertreter von SPD, CDU und FDP wollten sich jedoch nicht durch eine Unterschrift an den Text binden. So fordert das Bündnis unter anderem von den Volksvertretern, dass "Verbände, Initiativen und Betroffenenorganisationen als Gesprächspartner auf der Kommunal- , Landes- oder Bundesebene bei allen Dingen hinzugezogen werden, die Auswirkungen auf die konkrete Verteilung des gesamtgesellschaftlichen Reichtums haben".

Auf den religiösen Hintergrund der Forderungen weist Cornelius Schmidt von der Alt-Katholischen Gemeinde hin: "Armut zu bekämpfen ist eine zutiefst christliche Angelegenheit", betont der Pfarrer und erinnert an die "christlich-jüdische Ethik", die auf Werten basiert, die mehrere tausend Jahre alt seien: "Das hat viel mit Menschlichkeit und nichts mit Kommunismus zu tun. Soziale Fragen sind kein Thema linker Politik, sondern von christlicher Soziallehre."

An die aktuellen Probleme in Krefeld erinnert Greyn, Chef des ökumenischen Arbeitslosenzentrums, der täglich mit diesen Fällen konfrontiert wird: "Wir hatten allein 2016 bei uns mehr als 2600 Beratungskontakte. Damit sind wir an der Kapazitätsgrenze angekommen." Nach seiner Aussage muss in Krefeld ein Hartz-IV-Kind monatlich mit 237 Euro auskommen "Und da ist das Kindergeld schon drin. Wer aus der Regelleistung als Kind auf ein Fahrrad sparen will, der braucht dafür 18 Jahre", so der diplomierte Sozialarbeiter. Üppig seien die finanziellen Mittel auch nicht bei alleinstehenden Hartz-IV-Empfängern. Diese betragen 409 Euro plus Unterstützung bei der Unterkunft. Greyn: "Diese Summe liegt unter der offiziellen Armutsgrenze von 950 Euro für Alleinstehende." Ein düsteres Bild malt der Experte mit Blick auf die aktuelle Situation in Krefeld. Laut seiner Aussage leben derzeit von 235.000 Bürgern 30.000 im Hartz-IV-System, weitere 10.000 bis 20.000 Menschen beziehen soziale Unterstützung. "Die Dunkelziffer liegt in diesem Bereich noch wesentlich höher. Ich gehe davon aus, dass in Krefeld bis zu 100.000 Betroffene Anspruch auf soziale Hilfe haben", ist Greyn sicher. "Hier muss dringend gegengesteuert werden."

(RP)
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