Krefeld Stummschauspiel: Experiment geglückt

Krefeld · Einen flotten Tanz durch ein Jahrhundert deutscher Geschichte zeigt das Theater in "Das Ballhaus". Für das von Frank Matthus in Szene gesetzte Schauspiel ohne Worte gab es bei der Premiere heftigen Beifall.

 Aus jedem Parkett stilsicher tanzt sich das Ensemble durch die deutsche Geschichte. Das Ballhaus ist der Schicksalsort für mehrere Generationen.

Aus jedem Parkett stilsicher tanzt sich das Ensemble durch die deutsche Geschichte. Das Ballhaus ist der Schicksalsort für mehrere Generationen.

Foto: Matthias Stutte

Warum tun Schauspieler sich das eigentlich an? Wochenlang müssen sie endlose Texte lernen, an Betonungen feilen, darauf achten, dass das, was sie ins Off sprechen, bis "hinterste Reihe Balkon" verständlich ist. Es geht doch auch anders! Wortlos. Und trotzdem grandios unterhaltsam. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das Premierenpublikum feierte die schillernde Premiere eines geglückten Theaterexperiments mit langem Beifall: "Das Ballhaus".

Zwei Dutzend Schauspieler durchlaufen in zweieinhalb Stunden die wichtigsten Stationen der deutschen Geschichte von der wiederaufkeimenden Lebenslust in der Weimarer Republik bis zum Mantra "Wir schaffen das" in der Gegenwart. Diesen Schluss hat Autor Steffen Mensching für die Krefeld-Premiere extra noch nachgeliefert. Es gibt viel zu sehen, gesprochen wird nicht. Aber das Ohr hat trotzdem genügend Beschäftigung.

Und das Auge erst: Wenn sich das ästhetisch sehr gelungene Bühnenbild von Johanna Maria Burkhart - eine mit Jugendstil-Zitaten und Kneipenmobiliar ausgestattete Tanzlokalität, die sich zeit- und verortungsfrei bespielen lässt - füllt, ist das Publikum mit dem ersten Ton mitten im Geschehen. Acht Damen, in ihre besten Kleider geworfen und mordsmäßig aufgehübscht, hocken sich an die Tische. Acht Herren zwischen Gentleman und Dandy betreten das Parkett - das Spiel beginnt. Let's Dance.

Es gibt keine Ballettchoreografie, hier tanzt jeder seinen eigenen Stil. Jede Figur hat ihre Individualität, steht für heimliche Träume und offen zur Schau getragene Wünsche. Bei Tango, Foxtrott und Charleston wechseln die Rollen und Kostüme (von Yvonne Forster mit viel Zeitkolorit zusammengestellt) rasend schnell. Das kann das Ensemble bekanntermaßen. Und Regisseur Frank Matthus hat schon mit der "Rocky Horror Show" und dem Songdrama "Ewig jung" gezeigt, dass er was stemmen und es dabei federleicht aussehen lassen kann.

So geht's mit Shimmy-Schuhen und Tanzstöckeln durch die Historie. Und das ist nicht nur heiter. In die Partystimmung der Roaring Twenties fließt die erste Nazi-Proganda der Dreißiger ein. Menschen werden schikaniert, von Männern mit Hakenkreuz-Armbinde abgeführt. Draußen grölt Adolf Hitler (per Filmeinspielung, die auf dem Bühnenbild optisch verzerrt wird) "Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen", und drinnen singt Esther Keil "Ich brauche keine Millionen". Witwen betrauern ihre toten Männer, übriggebliebene Gestalten pflegen ihre Melancholie zu "Heimat, deine Sterne" und "Roter Mohn". Bilder von zerbombten Städten gehen fast nahtlos über zu den Caprifischern und dem blühenden Schwarzmarkthandel. Wenn die Amerikaner einmarschieren, erklingt "In The Mood", und auch für die russischen Soldaten gibt es die passende Platte. Nach der Pause kommen die Zuschauer in Wallung, deren Erinnerung nur bis zum ersten WM-Titel 1954, bis zu den Studentenrevolten der 68er, zu den Beatles und Tony Marshall zurückreicht. Aerobic- und Handywelle schwappen hoch. Dieser Bilderbogen will alles streifen, und so bleibt auch alles an der Oberfläche. Die Vita der Figuren muss man dem Programmheft entnehmen. Nur einmal gibt es einen Moment, der für Raunen im Publikum sorgt: Als Adenauer im O-Ton bei seiner Regierungserklärung betont, dass "die Zeit des Rechtsradikalismus in Deutschland endgültig vorbei ist". Dass Willkommenskultur nach dem Mauerfall mit Begrüßungsgeld und Bananen gefeiert wird, geht fast unter.

Aber die Zeitreise mit den vielen "Ach, stimmt, das war ja auch"-Momenten hat großen Charme. Die Schauspieler betören ausnahmslos mit ihrer Körpersprache und ihrem Tanztalent. Enorm, was sie sich in der Probenzeit erarbeitet haben. Sie sind parkettsicher mit jedem Quickstep. Und der Krafteinsatz ist ihnen nicht einmal anzusehen. Großen Applaus gab es auch für die Live-Band um Jochen Kilian, die die Hits von früher mit Schmiss umsetzt

Nächste Vorstellungen: , 31. März, 15., 22. April, 11., 22. Mai. Kartentelefon 02151 805 125

(RP)
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