Interview Heinz Webers Über die Lust an der Mundart

Krefeld · Warum Krieewelsch ausstirbt und dennoch von Liebhabern gepflegt wird, was Globalisierung mit Sprache zu tun hat und wieso Drieet immer Drieet bleibt: Ein vergnügliches Gespräch mit Mundartkenner Heinz Webers.

Wie sind Sie zur Mundart gekommen?

Webers Erst einmal über meine Eltern. Ich bin auf dem Dießem aufgewachsen, und bei uns zu Hause wurde ab und zu Krieewelsch gesprochen, auch wenn meine Eltern zu mir immer sagten: "Sprech ördnlich, du sollst mal was Richtiges werden!" Wie sagt man so schön: Meine erste Fremdsprache war Deutsch (lacht). Im Ernst: Platt war bis in die 60er Jahre verpönt. Es wurde eigentlich nur bei Creinvelt und dann auch nur zu Karneval gepflegt. Wer Platt sprach, war Pongelsvolk.

Pongelsvolk?

Webers Das ist schwer übersetzbar; es bedeutet so was Ähnliches wie minderbemittelt. Man sprach Mundart einfach nicht, das gehörte nicht zum guten Ton.

Und obwohl Sie als Junge "unordentlich" gesprochen haben, sind Sie heute dem Krieewelsch verbunden.

Webers Ja, als Erwachsener kam ich erneut mit dem Thema in Berührung, als ich 1973 als städtischer Beamter die "Krefeldiade" mitorganisieren durfte. Da bekam ich Kontakt zu dem Mundartverein "Kreis 23". Der Name rührt daher, dass der Kreis 1923 gegründet worden war.

Tauchte Mundart im Alltag nie mehr auf?

Webers Doch, vereinzelt, und es waren positive Erfahrungen. Ich musste einmal im Liegenschaftsamt einem Bauern ein Stück Land abkaufen, und der wollte und wollte nicht. Bis ich zu ihm gesagt habe: Stellt Öch net suo aan. Da hat er gesagt: Jong, Do kress dat Stöck.

Ist Mundart für Sie die wärmere Sprache?

Webers Sicher, Mundart ist gemütvoller als Hochdeutsch.

Haben Sie ein Beispiel?

Webers Wenn ich zu einem Freund sage: "Do böss ene ärme Doll", dann teile ich ihm schon mit, dass er irgendetwas nicht durchschaut, aber es ist nicht verletzend, sondern liebevoll. Das klingt einfach anders, als wenn ich ihm auf Hochdeutsch sage: Du verstehst das nicht. Für manche Sätze gilt: Wenn Sie es auf Hochdeutsch sagen, sieht man sich beim Schiedsmann wieder; sagen Sie es auf Platt, geht man danach zusammen ein Bier trinken.

Aus der Sprachforschung kann man lernen, dass Mundarten, die in Wörterbüchern gesammelt werden, aussterben. Sehen Sie das auch so?

Webers Ja sicher stirbt das Krieewlesche aus. Mundart spricht man ja nicht mehr, und in unserer Multi-Kulti-Gesellschaft würden sie ja viele Ausländer erst recht nicht verstehen. Bis vor einiger Zeit lebte Mundart immerhin noch auf den Wochenmärkten. Da konnte man von den Bauern Mundart hören und von den Kunden Bestellungen wie "Jövv mech en Ponk van dat on dat".

Kann man Krieewelsch lernen?

Webers Zum Teil. Mein Nachfolger Helmut Himmel ist ein Sudetendeutscher, der früh nach Krefeld zog und hier in Webereien gearbeitet hat. Der kennt die Mundart-Fachbegrifflichkeit zum Weben wunderbar, tut sich aber mit der Alltagsmundart etwas schwerer. Und Feinheiten gehen unter: Oedingsch ist schon wieder anders als Krieewelsch, obwohl es mit Krieewelsch zum Südniederfränkischen gehört. Fischeln ist eher dem Kölner Dialekt, dem Ripuarischen, zugeneigt.

Erfüllt es Sie mit Trauer zu sehen, dass die Mundart immer weniger wird?

Webers Ach, mit Trauer erfüllen mich andere Dinge. Wenn ich zum Beispiel sehe, dass Kinder heute ihren Teller nicht leeressen und Nahrung aus Überfluss verschwenden. Meine Frau sagt immer: Sei großzügig, aber da bin ich von dem Erlebnis als Kind geprägt, hungern zu müssen.

Heißt: Das Verschwinden der Mundart ist Schicksal, der Lauf der Dinge.

Webers Ja. Wir singen in der katholischen Kirche "Wenn das Weizenkorn nicht stirbt". Die Mundart hatte ihre Zeit, heute werden andere Sprachen gebraucht. Das ist der normale Ablauf: Dinge gehen zugrunde, andere wachsen.

Dennoch gibt es ja eine Hochschätzung der Mundart - allenthalben pflegen Mundartler ihre Sprache.

Webers Das hat tiefe Gründe, glaube ich. Um ein Bild zu gebrauchen: In Zeiten der Globalisierung steht die Mundart für einen Teil einer Wippe. Sie bildet das Gegengewicht zu einer manchmal irren, auch irre anstrengenden Globalisierung. Mundart steht für Nähe und Heimat.

Haben Sie so etwas wie ein Lieblingswort?

Webers Ja, eigentlich drei. Es gibt eine wunderbare Lebensweisheit, die die Hektik unserer Tage beschreibt und ironisiert: Nie es nix on ömmer es jet. Ist das nicht herrlich?

Allerdings. Und Nummer zwei?

Webers Nummer zwei ist ein oft passender Spruch zu jedem kalten Buffet: Mer mot sech wongere, wat en ene enjeladene Buck alles erenjieth (gemeinsames Gelächter von Interviewer und Interviewtem).

Und drittens?

Webers Ein Spruch, der Leuten gilt, die an allem herummäkeln: "Mer kann sech üever alles ärjere, mot ävver net". Es geht um Leute, die dauernd am knüttern und rumpörkeln sind, und denen man sagen möchte: Komm, lass gut ein.

Sprechen Ihre Kinder Krieewelsch?

Webers Meine Söhne verstehen Platt, lesen es ungern und sprechen es nie. Ich bin aber auch nicht traurig darüber.

Wie ist es denn, wenn man Kinder mit Platt konfrontiert?

Webers Kinder haben viel Spaß daran. Ich hab schon mit Grundschulkindern ein bisschen Platt geübt. Wir haben gesungen "Et räejent, et säejent, de Panne werde naat", es regnet, die Dachziegel werden nass. Dann fragen sie: Was heißt denn Scheibenwischer auf Platt? Und ich muss erklären: Das Wort gibt es in der Sprache nicht - Jong, dat hät et damals net jejoeve (lacht).

Ist es eigentlich schwer, Mundart aufzuschreiben?

Webers Mundartschreiben ist ein Kapitel für sich. Ich sehe das nicht so eng, aber manchmal muss man sich auf eine einheitliche Schreibweise einigen. Ich habe einmal einen Mundartband mit 14 Autoren herausgegeben; alle wollten das Wort Drieet anders schreiben. Es war ein Kampf durchzusetzen: In unserem Büchlein ist Drieet immer Drieet.

JENS VOSS FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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