Krefeld Umstrittener Houellebecq-Roman wird fürs Theater bearbeitet

Krefeld · In Krefeld entsteht eine eigene Dramatisierung von "Unterwerfung". Matthias Gehrt inszeniert.

Der Zeitpunkt war denkbar heikel: Die Veröffentlichung von Michel Houellebecqs Roman "Sousmission" traf Frankreich mitten im Aufruhr der Anschläge auf Charlie Hebdo. Der Skandal war unvermeidlich: Die Geschichte einer autoritären muslimischen Partei, die im Jahr 2022 schleichend die Gesellschaft unterwandert, die Macht im Elysees-Palast übernimmt und die Grundwerte der westlichen Welt zerstört, traf ins Mark. Die Empörung über das "Islamisierungs-Horrorwerk", das in deutscher Übersetzung "Unterwerfung" heißt, wird mit zeitlichem Abstand leiser, der Text immer öfter als Farce gelesen. "Es ist eine gnadenlose Überspitzung, die zeigt, wie sich eine intellektuelle Elite im Moment der Entscheidung verhält, wie sich eine Gesellschaft unterwirft - denn das sagt ja der Titel", erklärt Schauspieldirektor Matthias Gehrt. "Die Unterwerfung" soll im Juni als Nachfolge-Produktion von "Kein schöner Land" auf die Theaterbühne kommen. Dramaturg Thomas Blockhaus schreibt derzeit eine eigene Bühnenfassung fürs Gemeinschaftstheater.

Im Programmheft läuft die Produktion noch unter dem Arbeitstitel "Lampedusa II". Thematisch soll es die Situation der aus ihrer Heimat geflüchteten Menschen und die Gesellschaft, in der sie ankommen, aus "Kein schöner Land". Um die sich schnell änderenden Umstände und die Stimmung im Land möglichst aktuell aufzugreifen, haben die Theaterleute sich erst spät festgelegt. Klar war, dass sie nicht die "Wie läuft es mit der Integration"-Perspektive zeigen wollten, sondern einen Blick auf die sich verändernde Gesellschaft. Deshalb greifen sie auf keine Fassung zurück, die bereits auf europäischen Theaterbühnen gezeigt wird. Es steht noch nicht fest, wie "Unterwerfung" hier auf die Bühne kommen soll. "Wir wollen kein Islam-Bashing, sondern zeigen, wie sensibel ein gewachsenes Gesellschaftsgefüge ist. Manchmal ist nur ein kleiner Anstoß von außen notwendig, damit es zerfällt. Es gibt keine Gegenwehr. Jetzt, nach der Trump-Wahl, ist das noch aktueller als zuvor", sagt Gehrt.

Houellebecq entwirft ein bissiges Szenario, in dem Kulturen und Religionen aufeinanderprallen. Weil die Rechten zu viel Zulauf haben, müssen Sozialisten und Konservative für die übernächste Präsidentenwahl in Frankreich mit der Bruderschaft der Muslime kooperieren. Als deren Kandidat immer mehr Wähler für sich gewinnt, kommt es zu Ausschreitungen. Der Bürgerkrieg droht. "Mich interessiert, was das Buch über unsere westliche Gesellschaft erzählt", erklärt Gehrt. "Das wird und soll Anlass zu Diskussionen geben."

270 Taschenbuch-Seiten des Romans für die Theaterbühne umzuschreiben ist für Blockhaus eine Premiere, die ihn reizt. Viele intellektuelle Anspielungen, die der Protagonist Francois macht, wird er herausfiltern, weil sie zu spezifisch sind. Auch den großen Diskurs über Huysman, den wichtigsten Schriftsteller der Decadence, wird Blockhaus mindestens eindampfen. Blockhaus, 1960 in Solingen geboren, hat Theaterwissenschaften, Philosophie und Kunstgeschichte studierte. In Lübeck, München und Bremen hat er als Regieassistent gearbeitet. Katharina Thalbach und Peter Palitzsch haben sein Theaterbild geprägt. Vor großen Aufgaben ist ihm nicht bange, sein Regie-Debüt gab er mit Thomas Bernhards "Vor dem Ruhestand" am Bremer Theater. 15 Jahre lang hat Blockhaus für den Hörfunk gearbeitet, 350 Produktionen inszeniert, viele selbst geschrieben. "Das kann ich hier alles gut anbringen." Ein klassisches Schauspiel mit psychologischem Unterbau wie bei Henrik Ibsen soll das Publikum nicht erwarten. Aber auch keinen Monolog eines Mannes. Den fast dreistündigen Kraftakt hatte der Schauspieler Edgar Selge im Februar am Hamburger Schauspiel absolviert. "Es ist ein enormer Vorteil, dass wir uns hier am Haus alle so gut kennen. Da ergibt sich vieles aus den Gesprächen", sagt Gehrt.

Bei einm Abendessen treffen sich heute alle Schauspieler, die den Roman kennen, und tauschen ihre Eindrücke und Ideen aus.

(RP)
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