Krefeld Unterwerfung der Meinungslosen

Krefeld · Als Roman hat Houelle-becqs "Unterwerfung" Empörungswellen aus-gelöst. Die Bühnenversion von Thomas Blockhaus, die jetzt Premiere hatte, setzt auf Distanz und Unterhaltungswert. Sie zwingt das Publikum nicht, die eigene Haltung zu hinterfragen. Dennoch: ein sehenswerter Abend.

 Die acht Francois' der Bühnenfassung von "Unterwerfung: (v.l) Joachim Henschke, Christopher v.u.z. Lerchenfeld, Helen Wendt, Michael Ophelders, Ronny Tomiska, Adrian Linke, Esther Keil und Bruno Winzen. Im Hintergrund Anna Pircher als konvertierte Muslima.

Die acht Francois' der Bühnenfassung von "Unterwerfung: (v.l) Joachim Henschke, Christopher v.u.z. Lerchenfeld, Helen Wendt, Michael Ophelders, Ronny Tomiska, Adrian Linke, Esther Keil und Bruno Winzen. Im Hintergrund Anna Pircher als konvertierte Muslima.

Foto: Matthias Stutte

Die Sache beginnt in jenem Pfarrgemeinderaum, den wir von "Kein schöner Land kennen". Damals platzte in die provinzstädtische Idylle ein Schwarzafrikaner, der künftig die Volkslieder mitsingen wollte. Auch jetzt wird gesungen - unter einem himmelhohen Weihnachtsbaum, der das Urfest des Christentums mit leuchtender Lichterkette symbolisiert. Diesmal sind es Chansons aus der Zeit, in der Frankreich mit Wohlstand und Musikern wie Bécaud und Piaf strahlte. Diese Zeit gibt's nicht mehr. Es ist das Jahr 2023, da klingen Fragen wie "Et maintenant - Was wird aus mir?" anders.

Der, der sie stellt, ist Francois, ein Intellektueller, Mitte 40, dessen wissenschaftliche Erfolge längst angestaubt sind. Er hat sich eingerichtet in seiner Lethargie und der Routine seines Dozentenlebens an der Uni. Seinen Weltekel pflegt er bei gutem Wein und Sushi vom Lieferservice. Er wechselt semesterweise die junge Studentinnen, mit denen ihn ohnehin nur der Sex verbindet. Was kümmert es so jemanden, wenn im wirklichen Leben ein charismatischer islamischer Politiker an die Macht kommt, der Scharia, Patriarchat und Polygamie einführt? Auch damit kann sich dieser Francois doch sicher einrichten. Michel Houellebecq spielt in seinem Zukunftsroman "Unterwerfung" das Szenario einer westlichen Gesellschaft durch, die ihre Werte verloren hat und von einem gemäßigten Islamismus übernommen wird. "Das Entscheidende aber ist, dass der wahre Feind der Moslems, den sie über alles fürchten und hassen, nicht der Katholizismus ist: Es ist der Säkularismus, der Laizismus und atheistische Materialismus" ist ein zentraler Satz.

Der Roman, am Tag der Anschläge auf Charlie Hebdo veröffentlicht, geriet als islamfeindliche Zukunftsvision in die Diskussion und sorgte für lodernde Empörung. Regisseur Matthias Gehrt hat das Stück weitgehend aus diesem Deutungsfeld herausgeschält. "Je suis Francois" zieht sich als roter Faden durch die gut zweienhalbstündige Aufführung. Fürs Publikum stellt sich die Frage: Bin auch ich Francois - und wenn ja, wie viele? Denn die Rolle des Misanthropen teilen sich Joachim Henschke, Esther Keil, Christopher von und zu Lerchenfeld, Adrian Linke, Michael Ophelders, Ronny Tomiska, Helen Wendt und Bruno Winzen. Anna Pircher als konvertierte Muslima, die Thomas Blockhaus in seiner Bühnenfassung dazuerfunden hat, kleidet alle in graue Anzüge. Sie setzen braune Perücken auf und werfen sich die Textbälle zu. Ein achtfacher Protagonist ist ein cleverer Regiezug. Denn im Grunde ist "Unterwerfung" ein handlungsarmer Text voller Monologe. Und die Krefelder Fassung verhehlt nicht ihre Wurzeln. In der Eingangsszene stellt Bruno Winzen, bevor er sich in den ersten Francois verwandelt, das Buch als Buch vor, liest daraus. Mit dem Text-Pingpong und den großartig gesungenen Chansons bricht die Anmutung einer szenischen Lesung auf. Die sexistischen Sprüche werden zur Karikatur, wenn sie aus Frauenmund gesprochen werden, die schnellen Wechsel - auch in andere Rollen - und das Stilmittel des Chores stellen Francois immer neu infrage. Die Schauspieler meistern das mit Bravour, kitzeln bissige Pointen heraus. Doch sie können nicht verhindern, dass dieser Francois, eben weil er durch die vielen Darstellungen quecksilbert, keine greifbare Figur ist, an der man sich reibt, Stellung bezieht und seine Empörung entlädt.

Der Roman funktioniert nicht gut auf der Theaterbühne. Das Gedankenspiel über die eigenen Werte allerdings lohnt sich. Und die stimmige Bühne (Gabriele Trinczek), die peu à peu "islamisiert" wird, die wandelbaren Kostüme (Petra Wilke) und die Musikelemente (Jochen Kilian) machen den Abend rund.

Nächste Vorstellungen, 16., 23. Juni. Anschließend Publikumsgespräche

(RP)
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